Der Beginn der Bauarbeiten zur Nidda-Renaturierung wird sich verzögern. Vor allem das Kabelgewirr im Untergrund am Flussufer bremst die Bauarbeiten.
Karben. Bevor die Bagger und die Planierraupen an der Nidda im Karbener Stadtzentrum anrücken, muss der Boden frei von „Kabelsalat“ sein: Die bisherigen Kabel, Rohre und Energieleitungen entlang des alten Flusslaufes müssen komplett neu ausgerichtet werden.
Die technische Infrastruktur der Telekom, des Wetterauer Energieversorgers OVAG, des Bad Vilbeler Mineralwasserkonzerns Hassia und der Karbener Stadtwerke muss neu verlegt werden. Es handelt sich um einen 1,4 Kilometer langen Abschnitt jenseits der Renaturierungsflächen zwischen dem künftigen Damm und dem Industriegebiet bis zur Hundesportanlage an der Dortelweiler Straße.
Für diese Umbaumaßnahmen stehen der Stadt Fördermittel des Landes in Höhe von 270 000 Euro zur Verfügung. Die Gesamtkosten bezifferte Bürgermeister Guido Rahn (CDU) auf rund 400 000 Euro. Allein die Telekom berechnet für diese aufwendigen Arbeiten 250 000 Euro, die sie der Stadt in Rechnung stellt. Teuer sind hierbei die technischen Umschaltungen der Anlagen, deren Planung und Fertigstellung mit hohem Zeitaufwand verbunden ist.
Große Erdbewegungen
Von der OVAG liegen „noch keine Entscheidungen vor“, sagte Rahn. Der Bürgermeister hofft indes auf einen baldigen Bescheid. „Im Oktober könnte der neue Technik-Graben gezogen werden.“ Rahn hofft, dass diese Baumaßnahmen noch 2017 abgeschlossen sein werden. Die Neuausrichtung der Versorgungsleitungen an der Nidda-Brücke seien das geringste Problem.
Nach der Fertigstellung dieses zweiten Bauabschnittes stehen die eigentlichen Renaturierungsarbeiten an. Die Ausführung wurde an das Ingenieurbüro Gebler aus Walzbachtal bei Karlsruhe vergeben. Das bisherige Planungsbüro des Bad Vilbeler Gewässerökologen Gottfried Lehr sei bei der Ausschreibung nicht zum Zuge gekommen, so Rahn. „Lehr war bis zur Genehmigungsplanung beauftragt“, erläuterte Rahn. Danach sei eine erneute öffentliche Ausschreibung kommunalrechtlich erforderlich gewesen. Das Büro Lehr „war leider nicht der Sieger“, sagte Rahn.
Die bisherigen Leistungen des Gewässerökologen zur Nidda-Renaturierung seien auf privatwirtschaftlicher Basis erbracht worden, betont Rahn. Sie seien somit keinen öffentlichen Ausschreibungen unterworfen gewesen. Inwieweit die Honorarforderungen hierbei eine Rolle gespielt haben könnten, ließ Rahn im Detail offen. „Bei den Bewerbern gab es eine große Bandbreite.“
Eine Stellungnahme seitens des Büros Lehr blieb auf Anfrage bisher aus. Aber: Auch das Büro Gebler blieb einem Gespräch fern, das extra angesetzt worden war, um von dessen Fachleuten Details erfahren zu können. Mit dem Abschluss aller Arbeiten rechnet Rahn „Mitte des Jahres 2019“.
Neuer Damm
Die Erdbewegungen sind immens: Etwa 65 000 Tonnen Erdreich müssen bewegt und versetzt werden. Das Gros der Erde verbleibe jedoch im Areal, beispielsweise beim neuen Damm. Nur ein geringer Teil müsse über das Industriegebiet abgefahren und kostenpflichtig deponiert oder anderweitig verbracht werden – mit etwaigen Überraschungen. Rahn: „Was in der Erde noch drin steckt, weiß man nicht.“
Im Zuge der Nidda-Begradigung in den 1960er-Jahren wurden häufig auch Füllmaterialien sowie Beton- und Steinwerke, aber auch Bauschutt verwendet – Materialien, von denen man nichts mehr wisse. Dass noch alte, abgetragene Fachwerkhäuser ans Tageslicht kommen könnten, hält Rahn schmunzelnd „für ungewiss.“
Doch auch hier waren Untersuchungen vorab fällig. So wurden keine vor- und frühgeschichtlichen Funde festgestellt, die einen unvorhergesehenen Baustopp begründen könnten. Ebenso wurden keine Altlasten aus dem Weltkrieg gefunden
Die innerstädtische Nidda-Renaturierung wird das Stadtbild und die Lebensqualität in Groß-Karben nachhaltig beeinflussen und in der Metropolregion Rhein-Main aufwerten, sagte Bürgermeister Rahn.
Die Planung sehe an verschiedenen Stellen Erlebnisbereiche und offene Zugänge zum Fluss vor, unter anderem einen Wasserspielplatz. Die anfangs von Bürgern geäußerte Kritik, demnach die Umgestaltung des bisherigen Kanals vorrangig dem Naturschutz zugute komme, sei unbegründet.
Fatale Folgen fürs Ökosystem
Mit der Nidda-Begradigung und Kanalisierung nahezu von der Quelle im Vogelsberg bis zur Mündung in den Main bei Frankfurt-Höchst erhoffte man sich in den mittleren Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts nicht nur Wachstum in der Landwirtschaft. Auch wurde Bauland im großen Stil erschlossen. Mit fatalen Folgen nicht nur für das Ökosystem des Flusses. Aufgrund des Verlusts von Überflutungsflächen wurden bei Hochwasser die Fluten über die Nidda abgeführt – mit der Folge, dass an den Unterläufen und Mündungen der Gewässersysteme Städte und Dörfer nunmehr in den Fluten versanken.
Diese wasserwirtschaftlichen Fehlentscheidungen wurden zu Beginn der 1990er-Jahre korrigiert und seither wird die Nidda großräumig renaturiert. (sng)