Ein Sturm der Entrüstung macht sich derzeit bei vielen Wetterauer Eltern breit. Der Grund: Die Zuschüsse, die sie bislang für die Schulbusbeförderung ihrer Kinder erhalten haben, sollen gestrichen werden. Betroffen sind in Bad Vilbel Teile des Heilsbergs und Dortelweils, in Karben Rendel und Petterweil.
Bad Vilbel/Karben. „Nach hinten durchrücken!“ Mit der Ermahnung via Bordlautsprecher versucht der Busfahrer, noch ein wenig Platz zu gewinnen. Denn hier am Alten Rathaus in Rendel, erst der zweiten Haltestelle in Karben, ist der Bus der Linie 74 schon heillos überfüllt. Dicht an dicht drängen sich die Schüler darin, ein paar Berufspendler dazwischen.
Die meisten der Schüler wollen zur Kurt-Schumacher-Schule fahren. Seit Jahren und Jahrzehnten ist das so. Vor ein paar Tagen aber haben ihre Eltern Post bekommen: Die Kosten für diese Fahrten übernehme die Verkehrsgesellschaft Oberhessen (VGO) nicht mehr. Hintergrund ist eine Gesetzesreform des Hessischen Landtags, die genau dieses Vorgehen vorsieht. Im Anschluss an die Reform folgten viele Ortsbegehungen, bei denen festgestellt wurde, ob der kürzeste Schulweg den minimalen Sicherheitsanforderungen an den Schulweg gerecht wird.
Ist der Schulweg weniger als drei Kilometer lang und kann auf der kürzesten Wegstrecke keine „besondere Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit“ für die Schüler im Sinn des hessischen Schulgesetzes erkannt werden, wird der Zuschuss gestrichen. Die Eltern sind entsetzt.
So wie Barbara Linge in Rendel. Der Fußweg von Tochter Klara (9) wäre 2,9 Kilometer lang, hat die Mutter ermittelt und ist die Strecke abgefahren. Mehr als ein Dutzend Straßeneinmündungen und -kreuzungen müsste die Schülerin überqueren. „Da ist keine einzige gesichert“, schimpft die Mutter.
Angst vor Pädophilen
Mehrmals die Woche müsste Klara außerdem ihr Horn auf dem 45-Minuten-Fußmarsch schleppen. Zusätzlich zum schweren Rucksack und Sporttasche. Das sei dem Kind nicht zuzumuten, findet die Mutter. Und erst recht nicht der zeitliche Aufwand: „Sie hat doch schon 34 Stunden Unterricht pro Woche, da bleibt eh kaum Freizeit.“
Allein in Rendel sind Dutzende Kinder und Eltern betroffen. „Ich hätte keine Minute Ruhe, wenn mein Kind diese Strecke laufen müsste“, sagt Tanja Nazarenus. Denn auch ihre Töchter Patricia (9) und Victoria (12) trifft die neue Regelung. Die vielbefahrene, enge Rendeler Straße in Klein-Karben mit parkenden Autos auf den Gehwegen könnten die Kinder nicht einmal per Fahrrad bewältigen.
Der eigentliche Schulweg durch ruhigere, parallel verlaufende Wohnstraßen aber sei viel länger, kritisiert Heinz Lieb. Tochter Michelle (9) geht noch in die Klein-Karbener Selzerbachschule. Weil die VGO den Schulweg entlang der Hauptstraße vorschreibt, müssten die Eltern künftig ein Jahresticket für 270 Euro selbst kaufen. „Das müssten wir wohl machen, denn wir lassen unser Kind dort nicht alleine laufen“, sagt Mutter Lilli. Erst im vergangenen Jahr habe die Schule vor einem Pädophilen gewarnt und sogar gefordert, die Kinder nicht einmal bis zur Bushaltestelle in Rendel alleine laufen zu lassen. „Und jetzt sollen sie bis in den nächsten Stadtteil zur Schule laufen.“
In Bad Vilbel kochen Eltern ebenfalls vor Wut. Seinem Ärger Luft macht Jens Völker, der für die CDU nicht nur im Heilsberger Ortsbeirat und im Stadtparlament sitzt, sondern auch drei schulpflichtige Kinder hat. Und somit künftig auf rund 800 Euro im Jahr sitzenbleiben würde. Er fasst sich an die eigene Parteinase, sagt aber, dass alle Parteien hier „auf ganzer Linie versagt“ haben. Denn der für den Heilsberg ermittelte Weg führt entlang des Berkersheimer Weges zu den Treppen am Moulins-Ring in Richtung Kläranlage. Besonders im Winter bei Dunkelheit und Glätte könne man hier keinesfalls von einem sicheren Schulweg sprechen. Von anderen Gefahren krimineller Natur sei hier ebenfalls besonders zu warnen.
Völker will nun alle Kräfte bündeln. So hat er eine E-Mail an eine Nachbarin geschrieben, die diese weitergeleitet hat. Die Reaktion kam prompt und vielfältig, nämlich von etlichen weiteren betroffenen Eltern. Parteiübergreifend wurde am Donnerstagabend im Heilsberger Ortsbeirat ein Antrag eingebracht, nach dem „mit allen Mitteln“ gegen die neue Regelung vorgegangen werden soll. In Karben wird bereits an einer Unterschriftensammlung gearbeitet, das erwägt nun auch Jens Völker. Und zudem ruft er dazu auf, sich an die hiesigen Landtagsabgeordneten Jörg-Uwe Hahn (FDP) und Tobias Utter (CDU) zu wenden und sie zum Handeln aufzufordern.
Völkers SPD-Kollege im Ortsbeirat und Ortsvorsteher Christian Kühl ist bereits in Kontakt mit der VGO getreten. „Deren Auskünfte sind mir aber bislang zu lapidar“, zeichnet er das Gespräch nach.
Das Aus für die kostenlosen Bustickets bereitet vielen wie Tanja Nazarenus mit zwei Kindern „allein schon ein finanzielles Problem“. Ebenso Alleinerziehenden wie Barbara Linge. „Es ist schlimm, dass man hier auf Kosten der Sicherheit der Kinder spart“, seufzt der betroffene Carsten Ewald.
Ohne soziale Kontrolle
Den Betroffenen rät der Kreiselternbeirat zu Protest und Widersprüchen. „Was hier eine besondere Gefährdung des Weges darstellt, bleibt der Einschätzung der VGO vorbehalten“, und das könne nicht sein, kritisierte Vorsitzende Karen Anschütz. Das versteht auch Karbens Bürgermeister Guido Rahn (CDU) nicht. So stufe die VGO für Petterweiler Kinder den Weg durch die Felder zur Erich-Kästner-Schule nach Rodheim als sicher ein. Ebenso die Routen von Okarben an Brunnenstraße und Nidda entlang sowie durch den Pappelweg nach Groß-Karben.
Als Schulwege seien diese Strecken nicht geeignet, findet Rahn: „Dort gibt es nirgendwo soziale Kontrolle.“ Das sieht die VGO anders: Sie erläutert den Eltern, dass Wege nur dann „eine besondere Gefahr“ für Schüler darstellten, wenn sie entlang von Straßen ohne Gehwege, durch dichten Wald, unwegsames Gelände oder „vorbei an Brennpunkten der Drogenszene“ verliefen. „Das sehen wir anders“, erklärt Bürgermeister Rahn. Er will nun einen offiziellen Protest der Stadt nach Friedberg senden.
Auch die Stadt Bad Vilbel hat bereits reagiert. Sie verweist auf ein zweites betroffenes Gebiet, nämlich Teile von Alt-Dortelweil.
Völlig verkannt werde auch, dass die Homburger Straße noch bis Herbst 2015 zur Drei-Kreisel-Lösung umgebaut wird. „Auch wenn dabei bereits die Behelfswege sicher gestaltet wurden, ist es immer schwierig, eine große Anzahl von Menschen durch eine Großbaustelle zu leiten. Jetzt die Schülerbeförderung finanziell zu kürzen, ist ein falsches Signal, zumal der kürzeste Weg zur Schule nicht automatisch auch der sicherste ist“, so Frank.
„Es ist schwierig und schwer verständlich, warum in einer Stadt verschiedene Bezirke eingerichtet werden sollen, bei der manche Schüler den Anspruch auf kostenfreie Beförderung haben, manche aber nicht.“ (den)