Bad Vilbel. Zum ersten Mal in Deutschland haben sich alle in einer Stadt praktizierenden Ärzte zu einer konzertierten Protestaktion zusammengeschlossen. Das historisch denkwürdige Ereignis mit landes- und bundesweiter Signalwirkung findet von Montag, den 4. Juni bis Freitag, den 8. Juni 2007 in Bad Vilbel statt. In dieser Zeit haben Patienten Gelegenheit mit ihren Ärzten über die sich zunehmend verschärfende Situation im Gesundheitswesen zu diskutieren.
„Die Situation der Ärzte und Patienten wird immer schlechter. Wir streiken nicht, sondern nutzen unsere Zeit zur Aufklärung unserer Patienten und Bürger“, betonten Dr. Ansgar Schultheis, der die Notdienste organisiert, und Dr. Reinhold Weidmann, Obmann der niedergelassenen Ärzte, in einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag.
Stellvertretend für alle und mit einigen Kollegen bitten sie um Solidarität der Patienten, die vom Dilemma im Gesundheitswesen ebenfalls betroffen sind. Aus diesem Grund treffen Patienten einige der 33 Mediziner aus den örtlichen 31 Praxen, während der Informationswoche jeweils von neun Uhr bis 20 Uhr am Informationsstand vor dem Zentralparkplatz an. Während der Informationswoche werden abwechselnd haus- und fachärztliche Praxen die nötige medizinische Versorgung sichern. Welche Praxis gerade geöffnet hat, erfahren die Patienten unter der Telefon (06101) 19292 des Ärztlichen Notdienstes. Zusätzlich findet eine Informationsveranstaltung mit Dr. Martin Grauduszus, dem Vorsitzenden der „Freien Ärzteschaft“ am Dienstag, 5. Juni, um 19 Uhr im Saal der St. Nikolausgemeinde statt. Arztpraxen würden seit vielen Jahren durch gezielt abgesenkte Honorare ausgehungert, fast alle hätten in den letzten Jahren massiv Arbeitsplätze abgebaut, und viele seien einfach pleite gegangen.
Bad Vilbeler Patienten konnten in Frankfurt keine Magenspiegelungen mehr machen lassen, weil das Budget erschöpft war. Ein Gastroendologe erhält für eine Magenspiegelung elf €, die Kosten betragen jedoch 40 €. HNO-Arzt Hermann Kaltweit bekam von 40 durchgeführten ambulanten Operationen (OP) von den Kassen nur fünf bezahlt. Die Zahl seiner OP, die 140 € kosten, wurde reduziert, dagegen dürfen Kliniken, die 900 € für die gleiche Leistung abrechnen, unbegrenzt operieren. Sein Verlust betrug mehrere Tausend Euro. Die wohnortnahe Versorgung der Patienten wird durch diese Politik der Budgetierungen, Prüforgien, zunehmender Bürokratisierung und permanent fallenden Honoraren bei ständig steigenden Patientenzahlen gezielt verschlechtert. Drei Stunden täglich gehen für Bürokratie in den Praxen verloren. Die niedergelassenen Ärzte beklagen generell ein viel zu niedriges Honorarniveau. Auf die Patienten komme eine rigide Wartelistenmedizin zu, die sich noch keiner vorstellen könne, sollte die unselige Entwicklung nicht gestoppt werden. Die Einrichtung von anonymen Medizinischen Versorgungszentren gehe einher mit der Abschaffung des Arztes vor Ort. Patienten zahlen bereits heute immer mehr Beiträge für immer weniger Leistung. Es lohne sich gegen den durch die Gesundheitskarte (Einführung kostete 2004 1,4 Mrd. € und ist in 2007 bei 3,7 Mrd. € Kosten angelangt) instrumentalisierten „gläsernen Patienten“ an- und für das beste Gesundheitssystem der Welt zu kämpfen. „Das Geld ist da, nur wir haben es nicht“, sagen die Mediziner.