Wer hat das nicht schon einmal erlebt: Da bettelt ein Kind um ein Stück Schokolade und die Mutter lässt es zappeln. Sie wiederholt nur immer wieder ihren Satz: „Wie heißt das Zauberwort?“ Das Zauberwort heißt natürlich: „Bitte!“ Aber ein zweites Wort fällt den Kindern – und nicht nur den Kindern – mindestens ebenso schwer und wird leicht vergessen: „Danke!“
Am Sonntag ist Erntedankfest. Ich habe das Gefühl, früher ist einem das DANKE Gott gegenüber eher über die Lippen gekommen. Warum eigentlich? Geht es uns schlechter als den Menschen früher? Mit Sicherheit nicht. Haben die Leute früher mehr geglaubt? Vielleicht. Aber ich meine, es hat noch einen anderen Grund. Denn die Menschen heute sind durchaus religiös. Aber Gott hat für viele Menschen heute mit den praktischen, den alltäglichen Dingen nichts zu tun. Für das eigene Ergehen macht man nicht Gott verantwortlich, sondern sich selbst oder andere Menschen. Wir nehmen die Welt nicht aus Gottes Hand, sondern aus der Hand der Menschen. Das war früher anders.
Für die Religionen des Alten Orients spielte die Landwirtschaft eine große Rolle. Hier zeigte sich das Verhältnis zu Gott. War das Wetter schlecht und die Ernte miserabel, dann war Gott böse und wollte die Bauern bestrafen. War die Ernte gut, dann war Gott den Menschen wohl gesonnen. Und so bestand die Religion vor allem darin, Gott durch Opfer zu besänftigen und sich wohl gesonnen zu machen, oder darin, ihm durch Opfer zu danken, oder ihm das Leid zu klagen.
Heute hat für viele Gott mit dem eigenen Ergehen nichts zu tun. Gesundheit – ist kein Geschenk Gottes, sondern das Ergebnis von gesunder Ernährung, guter Fitness und positivem Denken. Wohlstand – nicht ein Zeichen für den Segen Gottes, sondern allein die Folge harter Arbeit. Und so ist es in den meisten Bereichen unseres Lebens. Kaum etwas, das wir nicht in der Hand zu haben scheinen. Und es ist auch gut, dass wir unsere Verantwortung erkannt haben. Was wir dabei leicht vergessen, ist, dass wir mit all dem, was wir tun, nicht bei Null anfangen. Nur Gottes Schöpfung war eine Schöpfung aus dem Nichts. Wir können nur mit dem arbeiten, was schon da ist. Aber das gefällt uns nicht, daran erinnert zu werden.
Wir möchten gerne glauben, dass wir alles machen. Dass wir nicht empfangende Menschen sind, sondern machende. Was hat das für Folgen, wenn wir Gott als den Geber aller Gaben nicht mehr sehen? Dann haben wir alles nur uns selbst zu verdanken. Was wir haben, ist unser Besitz, hart erkämpft und erarbeitet. Wir können nun damit machen, was wir wollen. Wenn wir teilen, ist es ein gnädiger Akt unsererseits, aber keine selbstverständliche Verpflichtung. Wenn wir uns hingegen im Kern als Empfangende verstehen, fällt es uns leicht, zu teilen. Dann halten wir uns nicht krampfhaft fest an dem, was wir geschafft haben, weil wir wissen: Ich verdanke es zwar auch meiner (manchmal sehr harten) Arbeit, aber letztlich verdanke ich es Gott – mein Leben, meine Arbeitskraft, meine Fähigkeiten. Es ist mir von Gott anvertraut. Ich möchte Sie deshalb fragen: Wofür möchten Sie danken? Und: Wo möchten Sie das mit anderen teilen, das Ihnen geschenkt wurde?
Pfarrer Dr. Jens Martin Sautter
Ev. Christuskirche
Bad Vilbel