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Vom Fressen und von der Moral

Bad Vilbel/Karben. Auf der Bühne standen 14 schauspielernde Sänger von 25 bis 55 Jahren, im Orchester saßen 18 Musiker zwischen zwölf und 55 Jahren. Sie alle sind Lehrer oder Schüler der Fachbereiche „Stimme“ und „Bläser“ der Musikschule Bad Vilbel und Karben. Mit Begeisterung und Können hatten sie zusammen mit den beiden Profis Sarah Baumann (Regie) und Andreas Weiss (musikalischer Leiter) eine ebenso unterhaltsame wie künstlerisch gelungene Version der „Dreigroschenoper“ inszeniert. Die traf ganz den Geschmack des Publikums. Alle Hauptrollen waren bis auf wenige Ausnahmen doppelt besetzt.

Doppelmoral

Regisseurin Sarah Baumann suchte und fand frische Bilder für das altbekannte und angesichts internationaler Banken- und Staatsfinanzkrisen topaktuelle Geschehen. Als das Werk 1928 uraufgeführt wurde, war die als Vorlage dienende „Beggar´s Opera“ bereits 200 Jahre alt. Bis heute hat sich an der Aktualität der Themen rund um Korruption, „Big Business“, Liebe und Betrug nichts geändert. Die Bettler schrieben auf ihre zur Anti-Krönungsdemo entworfenen Bannern: „Was ist schon ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“ und „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren“. Mit diesen Slogans wie auch „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?“ klagte Mackie Messer (Benedikt Bach), der Anführer einer Bande von Straßenräubern und Dieben, die verlogene Doppelmoral der Bourgeoisie an.

Aus Brechts marxistischer Perspektive rauben Banken effektiver als dies je ein Räuber vermag. Durch die Erhebung Mackie Messers in den Adelsstand und durch den geschäftstüchtigen Bettlerkönig Peachum wird die Trennung zwischen Räuber und räuberischer Oberschicht aufgehoben. Die einen rauben aus Not, die anderen aus Gier. Raub wird zum Kriterium für gesellschaftlichen Aufstieg und Anerkennung.

In der „Dreigroschenoper“ zeichnet Brecht das Bild einer Welt ohne gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. In ihr regiert nach Thomas Hobbes das Recht des Stärkeren. Ein jeder ist auf seinen Vorteil bedacht. Loyalität existiert in diesem Wirtschafts- und Gesellschafts-System nicht. Weder im Privatleben von Mac gegenüber seinen beiden Frauen, der romantisch-naiven Polly Peachum, seiner clever zickigen Ex-Geliebten Lucy oder seinen Gaunern. Angebot und Nachfrage beherrschen das Geschehen. Liebe, Moral und Freundschaft wie die des Sheriffs Tiger-Brown zu Macheath sind Luxus, haben keinen Bestand. Bettlerkönig Peachum bringt es auf den Punkt: „Doch die Verhältnisse, gestatten Sie, sie sind nicht so!“

Den Darstellern der Musikschule gelang es auf beeindruckende Weise, die stimmlichen Herausforderungen zu meistern und die jeweiligen Charaktere ihrer Rollen glaubhaft zu verkörpern. Schauspielerwitz, Text, Kostüm, Licht, die beweglichen Kulissen, Musik und Gesang ließen keine Wünsche offen.

Kurt Weills Musik ist wie Brechts Kritik an Bürgermoral und Kapitalismus weltbekannt. Berühmt gewordene Songs wie „Die Moritat von Mackie Messer“, „Der Kanonensong“ oder „Die Seereäuber-Jenny“ kommentierten die Handlung, die von der Musik begleitet oder unterlaufen wird. Weill bedient sich eines stilistisch breit gefächerten Musikmixes aus Opern-, Operetten- und Kirchenmusikelementen sowie Jazz der zwanziger Jahre.

Die große Bandbreite bereitete den von einigen Lehrern verstärkten Musikschülern keinerlei Probleme. Der Gegensatz zwischen den zynisch-derben Texten und der teils expressiv-beschwingten Musik verlieh dem dramatischen Bühnengeschehen zusätzliche Sprengkraft.