Bad Vilbel. „Die Kirche ist letztlich auch ein Unternehmen“, gibt Herbert Jung, Pfarrer der Katholischen St. Nikolausgemeinde Bad Vilbel, zu bedenken. Wer mal eine seiner kurzweiligen Predigten gehört hat, weiß, dass dies keine zufällige Aussage ist. Wie jedes andere Unternehmen so könne sich auch die katholische Kirche dem Wandel in der Gesellschaft nicht entziehen, betont er. Wenn Banken oder andere Unternehmen Filialen schlössen und damit von ihren Kunden mehr Mobilität verlangten, nehme das die Kundschaft meist klaglos hin. Schließlich gebe es ja das Internet. Doch bei der Kirche werde dies nicht so leicht akzeptiert, was Pfarrer Jung wurmt.
„Das geschlossene Bild einer Gemeinde vor Ort stimmt nicht mehr, die Leute verbringen sehr viel Freizeit außerhalb der Gemeinde.“ Diesen veränderten Rahmenbedingungen hat sich die Kirche im Bistum Mainz, zu dem auch Bad Vilbel gehört, angepasst. Im Dezember 2005 war beschlossen worden, die Gemeinden zu Pfarrgruppen zusammenzufassen, für die es dann einen gemeinsamen Seelsorgerat geben sollte. In Bad Vilbel bilden die Gemeinden von Dortelweil, Massenheim, der Kernstadt und dem Heilsberg eine Pfarrgruppe. Der Seelsorgerat konstituierte sich am 24. Oktober dieses Jahres. Nun kamen seine Mitglieder zur ersten Sitzung zusammen.
Innerhalb der Filialgemeinde stieß die organisatorische Neuerung nicht nur auf Wohlgefallen. „Manche fürchten um den Verlust ihrer Eigenständigkeit“, erläutert Monika Burkard, Gemeindereferentin in Bad Vilbel. Sie hat den Puls sehr nah am hiesigen Kirchenvolk, da sie in Dortelweil geboren und aufgewachsen ist. Dem Pfarrer sind die Sorgen zwar bewusst, doch er kann sie nicht wegwischen: „Wenn sich Dinge in der Gesellschaft ändern, muss man auch seine Erwartungen korrigieren. Es gibt nun mal auf absehbare Zeit keinen eigenen Pfarrer für Dortelweil oder Massenheim.“ Im Seelsorgerat, einem „offenen gestalteten Gemeindekonzept“, sieht der Bad Vilbeler Geistliche eine große Chance. Er sagt: „Wir können damit überholte Strukturen ad acta legen und uns über den Auftrag der katholischen Gemeinde klar werden.“
Einen möglichen Auftrag zeigt Jung gleich danach auf: „Die Leute können über die Kirche ihre eigenen Werte neu entdecken. Kirche kann Lebenshilfe bieten. Sie eröffnet Chancen, Menschen aus dem „goldenen“ Käfig der Termine und des Konsumdenkens zu befreien. Deshalb wird der Seelsorgerat keine organisatorischen Aufgaben übernehmen, sondern inhaltliche. Er soll Visionen für Jesu Botschaft entwickeln“.
Das Gremium biete, so Jung, die Gelegenheit, über den Tellerrand der eigenen Gemeinde hinaus zu blicken, und nicht nur in die Nachbargemeinde, sondern auch in die Mehrheit der Gesellschaft. „Schließlich gehen nur acht bis zehn Prozent aller Deutschen regelmäßig sonntags zur Kirche.“
Bei allen Chancen wird durch die Reorganisation klar, dass auch in der Kirche Budgetnöte und Personalknappheit herrschen. Es gebe zu wenige Pfarrer und Gemeindereferenten, auch seien die Kirchensteuereinnahmen in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Gründe dafür liegen nicht zuerst an Kirchenaustritten, sondern an der hohen Arbeitslosigkeit, der Senkung der Lohnnebenkosten und der Verlagerung der Steuereinnahmen von direkten zu den indirekten Steuern. Schließlich wird die Kirchensteuer prozentual auf die Einkommenssteuer erhoben.
An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Die Kirche ist ein Unternehmen, dessen Finanzkraft nicht zuletzt von der Konjunkturlage und der Steuerpolitik abhängt.