Mit einer besonderen Geste feiert der Heilsberger Verein der Ost- und Westpreußen sowie der Danziger Weihnachten. Die Vertriebenen von damals spendeten einen Betrag von 1000 Euro an die Flüchtlinge, die nach Bad Vilbel gekommen sind.
Bad Vilbel. Der Ort ist ungewohnt, aber das tut der gemütlichen Stimmung keinen Abbruch. Bisher hatte der Ostpreußenverein stets im Georg-Muth-Haus gefeiert, wo ein großes Wandbild an die Geschichte der Vertriebenen erinnert, die in den 1940er- und 1950er-Jahren die neue Siedlung Heilsberg begründeten. Doch das Bürgerhaus ist inzwischen zur Flüchtlingsunterkunft, geworden, die Ostpreußen weichen deshalb ins Kurhaus-Café aus. Doch auch dort spielt die ältere und jüngere Geschichte eine Rolle. Es gibt nicht nur Kuchen, Kaffee und Spezialitäten wie den „Pilltaler“, einen Wacholderschnaps, sondern auch einen Spendenscheck, den die erste Vorsitzende Jutta Bamberger Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) für die Unterstützung der Flüchtlinge überreicht.
Sie stellt ihre Rede unter das sinnige Motto „Wenn nicht wir. . . “ „Auch wenn ich die Flucht nicht selbst erlebt habe, so bin ich doch ein Erinnerungsträger“, erinnert sie sich. „Vor über 70 Jahren waren unsere Landsleute, wir Ost- und Westpreußen, Danziger, Pommern und Schlesier, Baltendeutschen, Siebenbürger Sachsen, Deutsche aus dem Banat und der Bukowina auf der Flucht vor Krieg, Vertreibung, Zwangsdeportation. Alle erlebten den Heimatverlust.“ Und die fügt hinzu: „Wer, wenn nicht wir, sollten, ja müssen, einander achten und sollten unserer humanitären Verantwortung für Flüchtlinge bewusst sein und den Menschen zu helfen, die alles verloren haben. Wer, wenn nicht wir, kennt das besser, wie es ist, bei Null anzufangen.“
Keine Ghettos
Bamberger appelliert, die Integration könne gelingen, wenn die Flüchtlinge nicht in Ghettos abgeschoben würden – und „wenn unsere Gesetze und Regeln beachtet werden“. Kurz regt sich Widerspruch, ein Vereinsmitglied betont: „Wir waren Vertriebene, keine Flüchtlinge!“
Bürgermeister Stöhr bedankt sich für die Spende, erinnert an die Aufbauarbeit, die die damaligen Neuankömmlinge in dem neuen Bad Vilbeler Stadtteil geleistet haben. Heute gibt es neue Aufgaben, „es ist nicht leicht, diese Aufgabe zu stemmen“, sagt er angesichts von aktuell 242 Flüchtlingen und wöchentlich 15 bis über 20 Neuankömmlingen in Bad Vilbel.
Er verspricht den Ostpreußen aber, dass ihr Wandbild aus dem Georg-Muth-Haus in den geplanten Neubau auf der Zigeunerwiese umziehen werde – als Dokument von Heimat, das selbst den pakistanischen Botschafter bei dessen Besuch dort beeindruckt habe.
Doch Politik spielt bei der Weihnachtsfeier nur am Rande eine Rolle. Die Frauen aus der Tanzgruppe führen in einem Reigen den Gumbinner Tanz auf, aber auch eine schwungvolle Rumba. Und sie bitten Thomas Stöhr zum Mitmachen bei einem Kerzentanz mit Drehungen und Walzerschritten zum Lied „Leise rieselt der Schnee“.
Der Ostpreußenverein hat derzeit 90 Mitglieder, weiß Bamberger, die Vereinsgeschichte ist auch die des Stadtteils. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fanden auf dem früheren Truppenübungsplatz der Vilbeler Höhe heimatlose ehemalige deutsche Soldaten zusammen. In dieser Not nahm sich das Evangelische Hilfswerk ihrer an. Häuser und Straßen entstanden auf einem Brachland, durchfurcht von Schützengräben und bestückt mit einigen uralten Apfelbäumen. Dort wurde aus Lehm und Trümmern neues Heim geschaffen.
Mit dem Einzug der ersten Frauen und Kinder in der bis dahin reinen Männerkolonie war die Geburtsstunde der Siedlung Heilsberg gekommen, 1948 benannt nach der Bischofsstadt Heilsberg in Ostpreußen. Bald wurde aus ursprünglich lockeren Zusammenkünften eine feste Gemeinschaft.