Bad Vilbel. Wie im „Bad Vilbeler Anzeiger“ (BVA) vom 22. November (Seite 11) berichtet, unterbreiteten drei Streetworker aus Sossenheim den Mitglieder des Sozialausschusses den Vorschlag, eine Sozialraum-Analyse von der Frankfurter Fachhochschule durchführen zu lassen, um Entscheidungen über Angebote wie Streetworker in Bad Vilbel treffen zu können. Der BVA sprach mit Bad Vilbels langjährigem Bürgermeister Günther Biwer (CDU) über den Vorschlag. Lesen Sie nachfolgend das Interview unserer Mitarbeiterin Christine Fauerbach mit Ehrenbürgermeister Biwer, der als Rathauschef auch das Sozialdezernat leitete:
ZLP: Herr Biwer, was halten Sie von einer Sozialraum-Analyse für Bad Vilbel?
BIWER: Ich bin erstaunt darüber, dass es den Eindruck macht, die heutigen Mitglieder des Sozialausschusses seien nicht darüber informiert, dass die Stadt Bad Vilbel schon längst eine Sozialraum-Analyse eingeführt hat.
ZLP: Wann wurde diese eingeführt?
BIWER: Bereits 1983.
ZLP:Wie kamen Sie darauf, eine solche Analyse durchführen zu lassen?
BIWER: Durch meine Mitgliedschaft im „Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.“, der damals seine Geschäftsstelle in Frankfurt am Main, heute in Berlin hat. Im Verein lernte ich die Professoren Dr. Marina Lewkowicz und Dr. Rüdiger Spiegelberg kennen, die sich mit diesen Themen intensiv auseinandersetzten. Mit ihrer Unterstützung gelang es der Stadt damals als eine der ersten Kommunen in Deutschland eine Sozialraumanalyse einzuführen.
ZLP: Was soll sich der Bürger unter einer Sozialraum-Analyse vorstellen?
BIWER: Das ist ein Verfahren, bei dem das Stadtgebiet in kleinere, geografische Einheiten unterteilt wird. Diese werden mit Hilfe bestimmter Indikatoren, etwa wie viele Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Schüler und so weiter, auf soziale Belastungen hin untersucht. Es kann mit diesem Verfahren festgestellt werden, wie hoch der jeweilige Bezirk belastet ist. Mit Befragungen durch Experten können dann auch Ursachen abgeklärt und behoben werden.
ZLP: In welchem Zeitraum wurde diese Sozialplanung in Bad Vilbel durchgeführt?
BIWER: Von 1983 bis etwa 2005/2006. Eigentlich sollte sie jetzt noch laufen.
ZLP: Wie hoch war der zur Verfügung gestellte Etat?
BIWER: Anfang pro Jahr 60000 Mark. Ab dem Jahr 2000 wurde der Betrag kontinuierlich reduziert. Nach 2004 waren es, soweit ich informiert bin, noch rund 10000 Euro im Jahr.
ZLP: Wie sah denn die in Bad Vilbel durchgeführte Planung aus?
BIWER: Im Gegensatz zu der vom Wetteraukreis durchgeführten Stabsplanung haben die beiden Professoren mit mir eine Stabslinienplanung für unsere Stadt durchgeführt. Das heißt, neben den beiden genannten externen Fachleuten waren auch Mitarbeiter der Sozialverwaltung, besonders der Leiter des Fachdienstes Soziales, Herr Klaus Jäger, in die Gruppe eingebunden, welche die Ergebnisse zusammenstellte.
ZLP: Wie sahen diese Ergebnisse aus?
BIWER: Bei diesen Ergebnissen handelt es sich teilweise um reine Datenerhebungen, wie Daten zur Bevölkerung in diesen Bezirken, zu deren Nationalität, Alters- und Haushaltsstruktur usw.. Ferner auch um eine Zusammenstellung von Zielgruppenmerkmalen wie Bildungsstand, Wohnungssituation und –bedarf, der Anteil von Wohngeldempfängern, gewaltbereiten Jugendlichen und vieles mehr, um sozialpolitische Maßnahmen treffen zu können.
BürgerAktive & HdB
ZLP: Worin bestehen die Ziele dieser Planungsart?
BIWER: Erstens waren sie kostengünstiger als die durch eine externe Firma, wie im Wetteraukreis geschehen, durchgeführte Planung. Zweitens konnten bereits im Verlauf des Planungsvorganges erkannte Maßnahmen sofort umgesetzt werden. Drittens entstanden langfristig wirksame Projekte.
ZLP: Können Sie Beispiele nennen?
BIWER: Eines der markantesten Beispiele ist die Existenz der „BürgerAktive“. Sie entstand aus dem in der Sozialplanung geäußerten Wunsch vieler Bürger, nachbarschaftliche Hilfeeinrichtungen einzuführen. Vorläufer war das Projekt „Eine Stadt hilft sich selbst“, das in die Gründung der „BürgerAktive“ mündete.
ZLP: Gibt es weitere Beispiele?
BIWER: Ein weiteres Beispiel ist das „Haus der Begegnung“. Es wurde bereits 1983 im ersten Plan erwähnt. Weiterhin die Spielplatzplanung, die Jugendhilfeplanung mit der Einrichtung der Stadtteilclubs, das Angehen des sozialen Brennpunktes, die Schaffung einer Seniorenberatung, die Spiel- und Lernstube, die Kinderbürgermeisterin, und so weiter. Wie auch die Ergebnisse der von Marianne Sahner-Völke durchgeführter Treffen der im Sozialbereich für Bezirke Verantwortlichen (Netzwerke).
ZLP: Wie könnte der Einsatz von Streetworkern in Bad Vilbel gestaltet werden?
BIWER: Mit der Sozialraum-Analyse können einige Voraussetzungen geklärt werden, aber es müsste möglich sein, konkret zu beginnen. Ich erinnere an die von mir moderierte Veranstaltung „Leben live“ am 27. Oktober 2011 in der Sankt-Nikolaus-Gemeinde. Da nahmen unter anderem auch drei Mitarbeiter der mobilen Jugendhilfe Neu Isenburg teil.
ZLP: Welche Anregungen gaben sie?
BIWER: Sie boten an, in Bad Vilbel für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten aufsuchende Arbeit durchzuführen. Um festzustellen, ob es eine entsprechende Anzahl von jugendlichen Gruppierungen mit spezifischen Alkohol- oder gar Drogenproblemen gibt, die den Einsatz von Streetworkern rechtfertigen.
ZLP: Wie könnte so eine Maßnahme aussehen?
BIWER: Indem man die Rädelsführer der Gruppierungen ausfindig macht und Anknüpfungspunkte in Gesprächen findet. Es wäre schön, wenn die Mitglieder des Sozialausschusses an das Thema anknüpften, es aufgriffen und in die Praxis umsetzen würden.
ZLP: Wir danken für dieses Gespräch!