Ob Biebrich, Philippsruhe, Staden, Assenheim: Wollen sie es hübsch haben bei der standesamtlichen Trauung, bleibt den Karbenern bislang nur der Weg woanders hin. Diese Hochzeitsflucht soll nun ein Ende haben.
Karben. Es ist zwar kein Schloss, aber mit seinem hübschen, kleinen Hof und dem galanten Fachwerk ist der recht voluminöse Bau überaus repräsentabel. Auch ist es keine Kirche, natürlich nicht. Doch hat das Gebäude seinen kleinen Turm samt diskretem Turmzimmer und vor allem einen großen Hauptraum samt Galerie im Stockwerk darüber. Mit den vier Holzsäulen darin wirkt es ein klein wenig wie eine Kathedrale, eine Kathedrale der ruhmreichen Wetterauer Brunnenwirtschaft.
Das Brunnenhaus des Groß-Karbener Selzerbrunnens ist nicht nur das Besucherzentrum namens „Juice Factory“ (Saftfabrik) der Kelterei Rapp’s. Sondern es ist ab Januar auch ein offizielles Trauzimmer der Stadt. Die städtischen Standesbeamten Martina Harmert und Reinhold Schnitzer dürfen darin fortan Paare trauen.
„Das ist schon ungewöhnlich für einen Industriebetrieb“, findet Geschäftsführer Klaus-Dieter Kneip von Rapp’s. So wunderte er sich zunächst auch ein wenig, als die Stadt bei ihm anfragte. Aber dann: „Das ist eine Steilvorlage für uns“, sagt Kneip, „wir wollen ja ein Betrieb zum Anfassen sein und keine seelenlose Industrie.“
Auch deshalb pflegt Rapp’s die Historie: Der Selzerbrunnen wird wohl seit mehr als 2000 Jahren genutzt, war einer der bedeutendsten Mineralbrunnen Deutschlands. Selbst in Übersee trank man Karbener Selzerwasser. Es fließt seit 1993 nach Bad Vilbel, wird bei Hassia abgefüllt. 2006 hatte Hassia-Tochter Rapp’s das verfallene Brunnenhaus, Baujahr 1878, aufwändig saniert, zum Besucherzentrum ausgebaut.
Als Veranstaltungsort schlug es ein wie eine Bombe: Dort laufen Partys der „Bembel-Lounge“, Lesungen und vor allem Feiern. „Dieses Jahr sind wir an 50 Wochenenden ausgebucht“, erklärt Andrea Bopp, die sich bei Rapp’s um Besucherangelegenheiten kümmert. Von April bis September seien es vornehmlich Hochzeitsgesellschaften, sonst auch andere Familienfeiern. So lag es für Rapp’s und die Stadt nahe, Trauung und Feier zusammenzubringen. „Es fehlt uns ja an einem etwas repräsentativeren Trauzimmer“, räumt Bürgermeister Guido Rahn (CDU) ein. „Da ist Rapp’s mit diesem Gebäude ein Glücksfall.“
Schloss statt Rathaus
Zwar sei das Trauzimmer im Degenfeldschen Schloss sehr schön. „Aber die Fassade und das Umfeld dort sind ja nicht für die Momente danach geeignet“, sagt Rahn. Trotzdem wählen zwei Drittel der 60 bis 70 Paare pro Jahr das Schloss. Denn das Trauzimmer im Rathaus ist eben eine noch nüchternere Sache. „Ganz wenige Paare lassen sich auch bei mir im Büro trauen“, erzählt Beamter Schnitzler. „Morgens um acht, damit sie danach noch auf die Arbeit können.“ Wenngleich das die Ausnahme sei.
Das Brunnenhaus als Trauzimmer nimmt der Standesbeamte an diesem Mittag genau unter die Lupe. „Gute Räumlichkeiten“, nickt er zustimmend mit dem Kopf. Je nach Größe der Gesellschaft lasse sich entweder der Saal nehmen oder das Turmzimmer „oder das Apfelweinzimmer“. Rapp’s-Chef Kneip korrigiert: „Unser Ebbelwoistübchen.“
Mit Catering
Sehr attraktiv sei, dass die Hochzeitsgesellschaften gleich das Catering mitbuchen könnten, meint Beamtin Harmert. Das ist bei Rapp’s sogar verpflichtend: Nur der Caterer sei in die Bedienung der Anlagen eingewiesen. Weil die Kelterei keine Konkurrenz zu örtlichen Gastronomen aufbauen will, stehen vier von ihnen als Caterer zur Auswahl. Das Anmieten der „Factory“ für Trauungen kostet wenigstens 350 Euro, Säfte inklusive. Zum Vergleich: Das Trauzimmer im Degenfeld’schen Schloss kostet 80 Euro.
Mit dem neuen Angebot hofft Bürgermeister Rahn, die Hochzeitsflucht der Karbener zu stoppen. „Wir wollen die zurückholen, die es etwas hübscher haben wollen.“ Und wenn in ein, zwei Jahren das Degenfeldsche Schloss saniert ist? „Dann haben wir noch mehr zu tun“, sagt Rahn. Standesbeamter Reinhold Schnitzler schmunzelt. „Das kriegen wir auch hin.“ (den)