Seit genau einem Jahr rollt der Verkehr über die Karbener Nordumgehung. Die täglichen Staus in Groß-Karben sind passé. Viele Pendler sind viel schneller unterwegs. Dabei hat die neue Straße ihre volle Wirkung noch gar nicht entfalten können.
Karben. So etwas wäre noch vor einem Jahr lebensgefährlich gewesen: Harald Ruhl und Peter Mayer schreiten nach einem flüchtigen Blick auf die Fahrbahn der Bahnhofstraße im Groß-Karbener Ortskern und bleiben stehen, unterhalten sich. Es dauert mehr als eine Minute, bis sich ein Auto nähert. „Die Beruhigung war sofort zu spüren“, erinnert sich Ruhl. Vor einem Jahr wurde die Karbener Nordumgehung eröffnet. Der Durchgangsverkehr kann seitdem Groß-Karben umfahren.
Jahrelang hatten Ruhl, Mayer und viele andere – vor allem Anwohner der Ortsdurchfahrt – in der Bürgerinitiative „Nordumgehung jetzt!“ für die Entlastungsstraße gekämpft. Denn um bis zu zwei Drittel soll sie die Verkehrsmenge in Groß-Karben verringern.
Nach einem Jahr sind Befürworter und Anwohner hochzufrieden mit dem Ergebnis. So wie Gisela Koeser. Sie wohnt direkt an der Bahnhofstraße, genießt die neue Ruhe. „Jetzt rattert der Schwerverkehr nicht mehr so durch. Da dachte man früher immer, das Häuschen fällt zusammen.“
Wenngleich ein wenig Ernüchterung schnell eintrat, schon im Januar. „Der Verkehr wurde plötzlich wieder mehr“, erklärt Ruhl. Warum? Er zuckt die Schultern. „Vielleicht haben Leute gemerkt, dass man jetzt ohne Stau hier gut durchfährt.“ Früher reichten die Autoschlangen in der morgendlichen Stoßzeit mitunter sogar übers Ortsschild aus der Stadt heraus.
Die Sanierung der Ortsdurchfahrt läuft seit April – und damit ist das Durchkommen blockiert. Über den Winter, ab diesem Freitag, soll sie zwar wieder vorübergehend offen sein. Aber da Bauabschnitte zwei und drei noch folgen, sind die nächsten Sperrungen für 2018 und 2019 schon absehbar.
Neue Lebensqualität
Ohne die Umgehung wäre die Sanierung nie gekommen, schätzt Peter Mayer. Dabei ist sie der krönende Abschluss der zu Ende gehenden Dorferneuerung. „Wir bekommen damit eine ganz neue Lebensqualität“, freut sich Harald Ruhl. Im Ortskern ist die Heldenberger Straße vom Schloss Leonhardi bis zum Lindenplatz runderneuert. „Das ist so idyllisch geworden.“
Die Zeit, bis die ganze Ortsdurchfahrt hübsch ist, ist für einige allerdings extrem hart, allen voran die Einzelhändler. „Die Nordumgehung finde ich privat toll“, sagt Anne Neckermann von der „Karbener Wollstubb“ direkt an der Bahnhofstraße. Denn das bringe dem Ort wichtige Entlastung. Bloß: Wegen der Baustellen bleibe ihre Kundschaft weg. „Es traut sich kaum jemand her, obwohl der Laden immer erreichbar ist.“ Ob sie das noch zwei Jahre lang durchhält? Neckermann weiß es nicht. Auch für Peter Mayer sind diese Folgen der Bauarbeiten spürbar. In sein „Kuhtelier“ kamen dieses Jahr deutlich weniger Besucher zu Konzerten und Kunstkursen.
Nicht nur: In seinem Wohnzimmer im ersten Stock im ehemaligen Kuhstall des Schlosses von Leonhardi hört er die neue Straße deutlich. Ein beständiges Rauschen dringt von den Feldern westlich des Ortes herüber.
Noch schlimmer trifft das die Anwohner der Häuser am Ortsrand. Sie wohnten früher am ruhigen Feld und der Nidda-Aue. Nun schauen sie auf die Umgehung und hören sie auch.
Das war unvermeidlich, sagt Karbens Verkehrsplaner Ekkehart Böing. „Da war vorher nichts, und nun ist dort eine Straße.“ Eine Reihe von Beschwerden über das Dauerrauschen der Straße und einzelne, besonders laute Rowdys, die abends und nachts ihre Motoren besonders laut hochdrehen lassen, seien im Rathaus eingegangen. Daraufhin habe es ein „Anwohnergespräch“ gegeben. Die Stadt habe nun einen Gutachter beauftragt zu messen, ob die Lärm-Grenzwerte überschritten werden, erläutert der Experte.
Nun Lärm andernorts
Er erinnert aber daran: Die Stadt habe extra den vom Land nur 170 Meter lang und 2,50 Meter hoch geplanten Lärmschutzwall – das hätte für das Einhalten der Lärmgrenzwerte genügt – vergrößert auf 430 Meter Länge und drei Meter Höhe. Außerdem sei ein besonderer Asphalt verwendet worden, der zwei Dezibel Lärm schlucke. Das ist viel: Bei einer Minderung um drei Dezibel sei die Lärmempfindung bereits halbiert, erklärt Böing.
Ihre Entlastungswirkung für den Verkehr in der Stadt habe die 17,5 Millionen Euro teure Umgehung sofort entfaltet, freut sich der Verkehrsplaner. Wenngleich das nur vier Monate lang funktionierte, bevor die Ortsdurchfahrt und die an die Umgehung anschließende Kreisstraße nach Heldenbergen für Bauarbeiten gesperrt wurden.
Deshalb seien bisher nur 12 000 Fahrzeuge pro Tag auf der Nordumgehung unterwegs – und damit weniger als die erwarteten 15 000, erklärt Böing. Erst wenn die aktuellen Baustellen und auch die für 2018 und 2019 geplanten Sperrungen in Klein-Karben und Rendel erledigt seien, könne abgeschätzt werden, wie sich die Nordumgehung im Normalbetrieb bewähre. „Das sehen wir dann 2020.“
Nicht nur die Anwohner der engen Ortsdurchfahrt Groß-Karben aber genießen die neue Straße schon jetzt. Auch durch die Gassen in Okarben fahren spürbar weniger Autos. Und nicht nur Pendler freuen sich, dass der Verkehr viel flüssiger fließt, sondern auch jene, die beruflich auf den Straßen in Karben unterwegs sind. „Die Umgehung ist prima“, findet Busfahrer Sahin Payraz vom ortsansässigen Omnibusbetrieb Eberwein. Ohne Stau komme er nun durch Groß-Karben – und die Fahrgäste damit wieder pünktlich zur S-Bahn nach Frankfurt. (den)