Karben. Jennifer Weber (39) vergräbt die Hände tief in den Außentaschen ihrer Jacke. In der Dunkelheit steht sie vor dem Klein-Karbener Continental-Werk. Seit 20 Jahren arbeitet die Friedbergerin dort. Es ist kurz nach fünf. Und sie ist die erste. Die erste, die an diesem frühen Dienstagmorgen in der Dieselstraße steht, um zu streiken. Für acht Prozent mehr Lohn, wie es die IG Metall fordert. In Karben begannen die Warnstreiks in der Metallbranche im gesamten Rhein-Main-Gebiet.
Schnell füllt sich der Platz vor dem Haupttor des Conti-Werkes. Aus dem riesigen Werksgebäude kommen die Mitarbeiter, die seit 22 Uhr am Vorabend dort schufteten. Und immer mehr Beschäftigte der Frühschicht stoßen zu ihnen. „Seit 5.15 Uhr ruht die Produktion“, sagt Katinka Poensgen von der IG Metall Frankfurt stolz. Bis kurz nach sieben Uhr geht nichts im Werk. „Wir müssen dem Arbeitgeber zeigen: Ohne uns geht nix“, sagt Betriebsratschef Udo Meides. Die ersten Pfiffe aus den Trillerpfeifen hallen durch die Nacht.
Meides Gesicht ist von Falten gezeichnet. Sorgenfalten. Haben die Eigner die Belegschaft in den vergangenen Jahren doch immer wieder mit knallharten Sparrunden gebeutelt. Drohten mit dem Schließen des Werks, des größten im Wetteraukreis. Dazu wechselten immer wieder die, die das Sagen haben. VDO, Siemens, Continental, Schaeffler. Die Standortsicherheit, das sei hier in Karben „das leidige Thema“, wie es Udo Meides formuliert. Auch in dieser Nacht, als es um die Acht-Prozent-Lohnforderung geht, kommt keiner der Gewerkschafter darum herum.
„Ruhe bewahren“, rät Meides den Beschäftigten, „und den Arbeitgeber kommen lassen.“ Er wolle sich noch diesen Monat mit dem Betriebsrat zusammensetzen.
Anfang Dezember soll die Belegschaft dann die Details erfahren, ob und wie das Werk auf die Krise in der Automobilindustrie reagieren muss. Ein verlängerter Weihnachtsurlaub, der Ausfall von Schichten, der Abbau der Arbeitszeitkonten – diese Möglichkeiten hatte Meides schon vor einigen Tagen angekündigt.
„So schlimm wie jetzt war es noch nie“, sagt Ana Theis (45) aus Frankfurt. Seit 20 Jahren arbeitet sie im Werk. Zum ersten Mal aber hätten sie und die Kollegen nun seit einigen Monaten Existenzängste. „Jeder wird gefragt, ob er einen Auflösungsvertrag nehmen möchte“, berichtet Theis. „Früher hat man das nur bei denen gemacht, die man los werden wollte.“ Wichtig sei jetzt, dass man sich nicht einschüchtern lasse. „Wir müssen zusammenstehen“, bringt das Udo Meides auf den Punkt.
Die Sorgen, da sind sich Ana Theis und ihre Kollegen sicher, haben die Belegschaft bereits zusammengeschweißt. So krittelt in dieser Nacht auch niemand an der IG-Metall-Forderung nach acht Prozent mehr Lohn herum. „Es geht um mehr“, sagt Thomas Kalkbrenner vom Vorstand der IG Metall. „Es geht schlicht um den Faktor Gerechtigkeit.“ Für die Fehler der Manager auch bei Conti dürften nun nicht die Beschäftigten leiden.
Die Conti-Leute versuchten ja bereits, die Fertigung in allen Bereichen zu optimieren. „Was die arme Frau, der arme Mann in der Produktion erarbeiten“, sagt Meides, „das ist der Gewinn für die Großen.“ Und davon wolle man nun „ein Stück abhaben“. Schließlich könne man sich „nicht immer nur zurücknehmen und die Großkopferten machen sich die Taschen voll“. Für Michael Erhardt, den ersten Bevollmächtigten der IG Metall in Frankfurt, ist die Acht-Prozent-Forderung logisch: „Wo soll nach dem Platzen der Kreditblase denn die Nachfrage herkommen, die unsere Arbeitsplätze sichert?“ Applaus und Trillerpfeifen. „Da bleibt nur, dass die Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche haben.“
Um kurz vor sieben greifen die Obergewerkschafter nochmals zu ihren Instrumenten, mit denen sie die Streikenden unterhalten. (den)