Karben. „bbw sei dabei, gib’ die Nordumgehung frei“ skandieren sie. Rund zwei Dutzend Aktive von der Bürgerinitiative „Nordumgehung jetzt!“ (BI) aus Groß-Karben stehen vor dem Tor des Berufsbildungswerks Südhessen (bbw) auf der anderen Seite der Stadt.
Eine Demo vor ihrem bbw haben die Schüler noch nicht erlebt. „Warum?“, wollen sie wissen. „Wir bitten das bbw, von einer Klage gegen die Straße abzusehen“, erklärt BI-Sprecher Harald Ruhl. Und warum die Nordumgehung? „Die Lastwagen fahren 80 Zentimeter von der Hauswand entfernt vorbei“, erklärt Peter Mayer. Die beiden Mädchen schütteln den Kopf. „Dann können Sie ja nicht ’mal einfach so aus der Tür rausgehen.“
Eine solche Demo hat auch Geschäftsführerin Renée Eve Seehof noch nicht erlebt. Die „lebendige Diskussion“ sei zwar schön, aber „wir sind nicht das Problem, sondern der Sündenbock, wie die Ausländer bei hoher Arbeitslosigkeit“.
Der Druck sei entstanden „durch Zusagen von Parteifreunden aus Wiesbaden, die nun nicht eingehalten würden“. Das bbw vertrete nur seine Interessen: Als Einrichtung mit 650 behinderten und benachteiligten Jugendlichen sei es besonders schutzwürdig. Bloß: Das hatten die Planer des Landes zunächst nicht beachtet. Sie stuften das Gelände mit Werkstätten und Wohnhäusern als Gewerbegebiet ein.
Erst auf Intervention des bbw wurde die Planung vor zwei Jahren geändert. Weil für eine Schule deutlich mehr Lärmschutz nötig ist als für einen Gewerbebetrieb, soll es nun eine Schutzwand erhalten. Das sieht das bbw aber als Eigentor an: „Wir wollen hier keine neue Berliner Mauer und dahinter restlos verschwinden“, sagt bbw-Anwalt Thomas Mehler. Seit Jahren bemühe sich das bbw darum, sich zu öffnen und ins soziale Leben der Stadt zu integrieren. Da sei eine solche Wand falsch, findet Chefin Seehof. Nun fürchte sich das bbw davor, von Straßen und Gewerbegebieten umzingelt zu werden. Zum einen sieht eine Variante des B 3-Ausbaus eine massive Doppeltrasse mit zwei Brücken direkt vor dem Gelände vor. Auch will die Stadt Gewerbeflächen östlich und südlich ausweisen. „Da erwarten wir Zugeständnisse“, sagt Seehof. Die neue B 3 solle möglichst direkt an der Bahnstrecke entlang geführt werden. Und die Nordumgehung könne einige Meter weiter südlich in die B 3 einmünden statt direkt am bbw. „Diese Variante wurde gar nicht ernsthaft geprüft“, findet Seehof. „Die jetzige Lösung ist völlig uninspiriert“, sagt Anwalt Mehler.
Um eine Lösung fürs bbw habe sich niemand bemüht, beklagt Seehof. „Dabei ist die Einbindung eine Verpflichtung für die Politik“, was sie aus der UN-Charta zur Integration Behinderter herleitet. „Wir erwarten eine besondere Berücksichtigung unserer Arbeit.“
Das ärgert Bürgermeister Guido Rahn (CDU). „Wenn man mit der Stadt und ihren Bürgern leben will, kann man sich nicht alleine als Nonplusultra sehen.“ Doch nach wie vor steht eine Klage im Raum. Sie sei „möglich, wenn die Interessen des bbw nicht angemessen berücksichtigt sind“, so Seehof.
Dabei gibt es weitere Unsicherheitsfaktoren: 200 Einwendungen liegen gegen die Umgehung vor. Ob alle Schutzvorgaben korrekt berücksichtigt sind, prüft derzeit das Ministerium. Die Baugenehmigung soll ja vor Gericht standhalten. Die Variante, dass der Bau durchkommt, scheint das bbw zu ahnen. „Wir sind gegen eine Wand“, sagt Anwalt Mehler, „aber welche Alternativen gibt es zum Einhalten der Lärmgrenzwerte?“ (den)