Veröffentlicht am

Rollentausch und Sprach-Dressur

Bad Vilbel. In dieser Spielzeit sind zwei Musicals in Bad Vilbel zu erleben, die sich mit Geschlechterrollen und Identität auseinandersetzen. Milena Paulovics inszeniert mit »Tootsie« die moderne Adaption des gleichnamigen Films, während mit der Wiederaufnahme von »My Fair Lady« in der Regie von Christian H. Voss ein wahrer Genre-Klassiker zu sehen ist.
Es gehört zu unserer Zeit, dass sich viele Menschen nicht mehr auf eine normierte Rolle festlegen lassen, dass Rollenbilder hinterfragt und neu definiert werden«, sagt Regisseurin Milena Paulovics. An »Tootsie« schätzt sie den spielerischen wie undogmatischen Umgang mit Genderdebatten. Gesellschaftlich relevante Themen würden deutlich benannt, etwa die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, allerdings auf überraschend ironische Weise: »Mit Moral, ohne Moralisierung.«
Man wird sich
in Dorothy verlieben

Die Geschichte erzählt von einem arbeitslosen Schauspieler der sich als Frau ausgibt, um eine Rolle in einem Musical zu ergattern, und ein rastloses Doppelleben beginnt. Über ihren Hauptdarsteller findet Paulovics nur lobende Worte: »Robert Marx ist als Michael genauso glaubhaft wie als charmante Dorothy.« Sie verspricht: »Man wird sich in Dorothy verlieben.« Pointierte Dialoge, berührende Figuren und eine mitreißende Musik hätten sie für diese moderne »Tootsie«-Version eingenommen, die 2018 in Chicago uraufgeführt worden ist. »Schon beim ersten Lesen des Stückes musste ich mehrmals laut auflachen«, erzählt sie begeistert.
Das Musical halte sich weitgehend an die Geschichte des Films, auch sollen Perücke, Brille und Kostüm der Hauptfigur für einen gewissen Wiedererkennungseffekt sorgen. Gleichzeitig wird der Stoff aber in die Gegenwart geholt. Zu den originellen Wendungen gehört, dass sich Michael Dorsey in der Musicalversion für die Rolle der Amme in einer »Romeo und Julia«-Fortsetzung bewirbt, in der Julia durch einen Zufall überlebt und sich in Romeos Bruder Craig verliebt, der von einem Reality-TV-Star verkörpert wird. »Das ist herrlich absurd«, findet Paulovics, die in Bad Vilbel bereits mehrere Shakespeare-Stücke auf die Bühne gebracht hat. Im Kern gehe es aber nicht nur um Rollenbilder und Genderdebatten, sondern um Identität, um die Frage: Wer bin ich? Wer bist du? Und wie gehen wir miteinander um? »Diese Fragen stellt das Stück mit augenzwinkernder Lust«, meint die Regisseurin. Auch für Unterhaltungswert sei gesorgt: »Es gibt viel zu sehen und, dank der großartigen Musik, zu hören. Denn schließlich ist dieses Musical auch eine Liebeserklärung an das Theater.«
Kommt der Rollentausch in »Tootsie« spielerisch daher, so hat es etwas von Dressur, wenn der Sprachwissenschaftler Higgins die junge, ungebildete Eliza Doolittle in »My Fair Lady« mittels Sprecherziehung zu einer Lady formen möchte. Ein Sympath sei Higgins nicht, räumt Regisseur Voss ein. »Auch das Frauenbild atmet die Zeit, aus der es kommt, und ist seit 50 Jahren überholt.«
Sehnsüchte
und Gassenhauer
Eine schöne Geschichte über die Sehnsucht nach gesellschaftlichem Aufstieg in Verbindung mit Gassenhauern hätten das Stück jedoch zu Recht zu einem Klassiker gemacht. »Mit leichter Muse und Humor werden aber auch Rollenklischees vorgeführt, und es wird davon erzählt, wie Sprache und Identität zusammenhängen.« Ganz bewusst habe er das Stück in einem historischen Setting belassen, sagt Voss. Um Erwartungen an pompöse Kostüme und ein farbenfrohes Bühnenbild zu erfüllen, aber auch, um zu schauen, wie heutige Zuschauer den Umgang mit Eliza wahrnehmen. Seine Erfahrung aus der letzten Spielzeit: »Das Publikum lacht den unverschämten Higgins aus.« Theater, sagt Voss, der sich mehr Abbildung von Natürlichkeit auf der Bühne wünscht, dürfe Zuschauer nicht belehren. »Die Zauberkraft des Theaters ist es doch, Geschichten zu erzählen, an die alle andocken können. Geschichten, die etwas in uns auslösen.«
Von Julian Wessel

Tickets und Termine
Sowohl »Tootsie« als auch »My Fair Lady« sind noch bei den Burgfestspielen zu sehen. »Tootsie« wird aufgeführt am Donnerstag, 29. August, um 20.15 Uhr. Im September läuft das Stück noch am 5., 6., und 7. um 20.15 Uhr sowie am Sonntag, 8. September, um 18.15 Uhr. Auch »My Fair Lady« ist noch zu sehen am Freitag, 30. August, am Samstag, 31. August, jeweils um 20.15 Uhr sowie am Sonntag, 1. September, um 18.15 Uhr. Tickets gibt es im Kartenbüro, Klaus-Havenstein-Weg 1, Telefon 0 61 01/55 94 55, und über www. kultur-bad-vilbel.de. red