„Komm wir wollen sterben gehen“ dichtet Gerhart Hauptmann, als sein Sohn Ivo eingezogen wird. Veröffentlicht wird das Gedicht des Nobelpreisträgers, der mit den Jahren immer mehr in nationales Pathos verfiel, 1915. Da tobte der „erste totale Krieg“, der vor 100 Jahren begann, als am 28. Juni 1914 die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo fielen. Das Attentat löste die erste „Ur-Katastrophe“ (George F. Kennan) des 20. Jahrhunderts mit zehn Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern aus.
Bad Vilbel. Zu ihnen gehören 155 gefallene Bürger aus Bad Vilbel und 20 an ihren Verletzungen Verstorbene. „Das sind drei Prozent der damaligen Einwohner Vilbels. Zwei Drittel der Gefallenen, die im Infantrieregiment 116 kämpften, fanden den Tod an der Westfront. Wir haben keine Angaben über die Zahl der Verletzten, Erblindeten, Verstümmelten“, sagte Claus-Günther Kunzmann, Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Heimatpflege.
Das Gerhard-Hauptmann-Gedicht wie auch das Gedicht „Im Osten“ von Georg Trakel, „Der nächse Krieg“ von Wilfried Owen sowie einen Auszug aus der Novelle „Der letzte Mann“ von Andreas Latzko und „Ein Mann kommt nach Deutschland“ aus „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert, rezitierte und las Schauspielerin Angelika Bartsch im Rahmen einer kleinen Gedenkstunde im Kurpark. Sie steht bei den Burgfestspielen in „Nathan der Weise“ als „Sittah“ auf der Bühne. Alle vorgetragenen Texte berichten vom Schrecken des technisierten Ersten Weltkriegs, von apokalyptischen Landschaften, zerfetzten Leibern, zerstörten Hoffnungen, von Toten, Trauernden und Traumatisierten.
Die Veranstaltung fand vor dem am 21. und 22. Juli 1934 mit einem großen Fest eingeweihten Denkmal für die gefallenen Soldaten statt, ein Entwurf des Frankfurter Bildhauers Paul Seiler (1873– 1934). Anlass war die Aufstellung einer Erläuterungs- und Erinnerungstafel durch Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr und Claus-Günther Kunzmann.
„Aufarbeitung war und ist wichtig, denn der Tag der Einweihung dieses Denkmals wie auch der heutige Tag ist nicht losgelöst von den historischen Begebenheiten zu sehen. Wie wollen mit dieser Erläuterungstafel diese Bezüge klarstellen und für die Gegenwart wie auch die Zukunft erfahrbar machen“, sagte der Bürgermeister.
Das auf Wunsch der Bürger errichtete Denkmal soll an die gefallenen Soldaten im ersten Weltkrieg erinnern. Zudem sei es auch ein warnendes Denkmal, verbunden mit dem Wunsch, „das Leid und Schrecken des Krieges nicht mehr über diese Stadt kommen mögen“. Über die historischen Zusammenhänge und den von Kunzmann entworfenen Text der Erläuterungstafel, in den Anregungen der Stadtverordneten einflossen, informierte der Vorsitzende des Geschichts- und Heimatvereins.
Das vollständig nach dem Entwurf von Paul Seiler errichtete Denkmal sollte dem Ehrenmal für die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 in der Nähe des Südbahnhofes entsprechen. Es steht heute unterhalb der Trauerhalle des Friedhofs. Umgesetzt wurde der Wunsch der Vilbeler erst im März/April 1933 nach der Machtergreifung der Nazis durch den neu eingesetzten Bürgermeister Joseph Seitz und dem Vorsitzenden des „Kriegervereins“ (Vetranenorganisation) Wilhelm Beuler. Finanziert wurde der Bau des Denkmals, wie schon berichtet, überwiegend durch private Spenden. Über die Höhe der Kosten ist nichts bekannt.
„Das Denkmal bildet den optischen Abschluss der damals neu entstehenden Kurparkanlage, mit direkter Sichtachse zur Kurhausmitte“, informierte Kunzmann. Die Anlage des Denkmals steht wie der Kurpark und das Kurhaus unter Denkmalschutz. Paul Seilers Entwurf „kombiniert Elemente klassischer antiker Bauformen mit regionalen Materialien.“ Ringmauer und Treppenstufen sind aus behauenen Vilbeler Sandsteinen, die zwölf Meter hohe Stele aus Taunusgestein des Mammolshainer Bruch und Muschelkalkstein gefertigt. Die Stele mit rechteckigem Grundriss bildet das Zentrum der Anlage. Das auf einer eisernen Kugel aufgesetzte Eiserne Kreuz ist militärisches Ehrenzeichen und christliche Symbolik in einem. Jeweils drei marschierende Soldaten in Uniformen mit Gewehren sind auf den beiden Relieftafeln auf den Längsseiten der Stele abgebildet. Ihr Blick geht nach Westen, in Richtung des Erbfeindes Frankreich und damit an die für die Vilbeler Bürger todbringende Westfront.
Auf der Vordersteite ist die Widmung „Den Gefallenen Helden Ehre und Dank“, auf der Rückseite „Die Stadt Vilbel ihren gefallenen Söhnen“ angebracht.
In der herorisiertenden Darstellung werden die Opfer zu Helden stilisiert. Für das Elend des Krieges, dem Leid der Soldaten, der Trauer der Hinterbliebenen ist kein Raum gegeben.“ Die um die Stele gebaute halbkreisförmig gemauerte Umrahmung zierte ursprünglich fünf Tafeln. Die vier seitlichen tragen die Namen der Gefallenen, darunter ein Bürger jüdischen Glaubens.
Die entfernte mittlere Tafel trug den Text: „Den von 1919 bis 1933 für Deutschlands Freiheit und Auferstehung gefallenen Helden in Ehrfurcht gewidmet.“ Gemeint sind die Todesopfer aus den Reihen der Nazis, die in den politischen Auseinandersetzungen und Kämpfen der Weimarer Republik umkamen. Ergänzt wurde die Form des Halbkreises der Anlage ursprünglich durch einen parallel verlaufenden Hain. Zwei kleinere Bruchsteinsäulen links und rechts der Stele trugen eiserne Feuerschalen. Vor der Anlage befand sich ein mit Kies und Schlacken bestreuter, symmetrisch angelegter Festplatz. Die fehlenden Teile wurden vermutlich auf Anordnung der amerikanischen Besatzung nach 1945 entfernt.
Aufgestellt wurde die neue Tafel auf der Westseite der Anlage gegenüber der Stele am Weg neben Sitzbänken. Auf kürzliche Kritik am Zustand des Denkmals und der Umgebung (der „offene Brief“ erschien im BVA) reagierte die Stadtverwaltung sofort. Das Kriegerdenkmal wurde gesäubert, die Bepflanzung entsprechend zurückgeschnitten und die anschauliche Tafel zur Einordnung des geschichtlichen Hintergrunds installiert.
Bemängelt wurde ferner, dass eine Tafel mit den Inschriften von gefallenen Soldaten „augenscheinlich herausgerissen worden sei.“ „Dies können wir bestätigen, doch war diese Platte kein Opfer von Vandalismus, sondern wurde von der amerikanischen Übergangsverwaltung bereits kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges vorgenommen“, erklärte Stadtsprecher Bastian Zander.