Bad Vilbel. »Wo sind die Tiere?«. Der ältere rüstige Herr beobachtet beim Spaziergang vom Mühlensteg Richtung Quellenhof die Wiesen und das Unterholz. Hier, direkt neben dem Graben der Wasserburg, ist nirgends mehr ein Nutria zu sehen. Viele Passanten im Bad Vilbeler Burgpark an der Nidda hatten die putzig aussehenden Pelztiere mit ihren langen Schnurrhaaren gefüttert. Obwohl Schilder darauf hinweisen, dass das verboten ist. Doch seit Monaten ist kaum noch eine Biberratte zu sehen. »Alle fragen sich, was mit den Tieren passiert ist«, sagt der Spaziergänger.
Bei der Stadt Bad Vilbel zuckt man mit den Schultern (diese Zeitung berichtete). Die Fachwelt aber ist weder besorgt noch traurig: »Die Natrias machen Probleme und treten in Konkurrenz zu heimischen Arten«, sagt Michael Schwarz aus Bad Vilbel. Er war viele Jahre Vizechef der Unteren Naturschutzbehörde im Wetteraukreis, ist erst seit wenigen Tagen Pensionär.
Die hierzulande nicht heimischen Tiere seien fürs Ökosystem ein Problem, weiß Schwarz – an der Nidda wie vielerorts in Europa. Längst hat die Europäische Union deshalb ein »Management« etabliert, mit dem Bestände begrenzt und ein weiteres Ausbreiten verhindert werden sollen.
Diese Aufgabe fällt den Jägern zu – in Bad Vilbel unter anderem Dr. Johannes Tekotte, Tierarzt aus Dortelweil. Seine Jagdreviere ziehen sich entlang der Nidda mit dem Areal des Gronauerhofs sowie den Gemarkungen Dortelweil und Massenheim. Um die Zahl der Nutrias zu reduzieren, nutzt Dr. Tekotte laut EU-Empfehlungen Lebendfallen aus Beton. Diese schließen sich automatisch, sobald ein Tier darin ist – das Tier bleibt am Leben. Über einen Sender wird der Jäger per SMS informiert, um den Fang überprüfen zu können. Nicht erwünschte Tiere kann er so schnell in die Freiheit entlassen.
PER SCHUSS GETÖTET: Nutrias hingegen werden per Schuss getötet. »Im Sinn des Tierschutzes und der Nachhaltigkeit«, sagt der Jäger. »Die Population einzudämmen, ist der richtige Weg«, bejaht Schwarz die Nutria-Jagd. »Wenn die Population noch mehr ansteigt, kann es gefährlich werden.«
Zum einen legten sich die Nager gern auf Brutplätze der Wasservögel, erläutert Dr. Tekotte. »Damit werden die Gelege zerstört.« Das kann zu erheblichem Schwund bei Wasservögelpopulationen führen.
Durch ihr Fressen schädigen Nutrias zudem Unterwasser- und Uferpflanzen wie den Röhricht stark, warnt Dr. Tekotte. Fehle der Bewuchs, könnten Ufer und Dämme einbrechen. Im Bereich des Gronauerhofs hätten die Tiere das Ufer schon fünf bis zehn Meter weit unterhöhlt.
Damit erhöhe sich die Hochwassergefahr, mahnt Schwarz, wenn Dämme zusammenbrechen. »Und die Nidda ist ja noch zu großen Teilen eingedämmt.« Vor solchen Schäden im Bereich der Wasserburg fürchten sich auch die Verantwortlichen der Stadt. Bei stehenden Gewässern wie dem Burggraben könnten zudem Ausscheidungen der Nutrias zu Fisch- und Entensterben führen, warnt der Nidda-Fachmann Gottfried Lehr.
96 TIERE GEFANGEN: Zwar nicht in der City, aber nördlich und südlich davon hält Jäger Tekotte die Nutria-Bestände in Schach. 96 Tiere habe er binnen knapp zwei Jahren gefangen. Ob Tiere aus dem Burgpark in die leereren Bereiche vor der Stadt umziehen? »Wenn dort quasi ein Vakuum entsteht, ist das möglich«, schätzt der Tierarzt. Er vermutet aber eine Krankheit als Ursache. Ein weiterer Faktor könne den Nutria-Bestand im Burgpark reduziert haben: »Die Leute füttern nicht mehr so viel«, hat Lehr beobachtet. (den)
Fakten zu den Nagern, die das ökologische Gleichgewicht stören:
Nutrias sind keine heimische Art. Sie stammen aus Südamerika, wurden erst vor einigen Jahrzehnten von Züchtern und Privatleuten hierzulande ausgesetzt.
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Nutrias in Privathaushalten als Nutztiere gehalten, ihr Fleisch gegessen.
Um die Bestände zu begrenzen, dürfen Nutrias in der EU seit 2016 nicht mehr gehalten oder gehandelt werden.
Die EU fordert das Ende der Fütterung der Tiere und Aufklärung der Bevölkerung.
Zudem hat die EU eine Bestandskontrolle angeordnet. Was nichts anderes bedeutet, als dass Nutrias gefangen und dann getötet werden sollen.
Nutrias sind nicht die einzige Art, die das ökologische Gleichgewicht an der Nidda gefährden. So gehören laut Gottfried Lehr Nilgänse ebenso dazu wie Waschbären. (den)