Bad Vilbel. Es ist ein weiterer Stein in seinem Renaturierungsmosaik, erklärte der Diplom-Ingenieur Gottfried Lehr in der vorigen Woche am neu geschaffenen Flussbett der Nidder. Drei Wochen intensives Arbeiten an einem größeren Bogen auf einer ehemaligen Wiese direkt am Ausgang von Gronau haben die Landschaft mächtig verändert. Lehr bezeichnet es als naturnahe und ökologische Verbesserung des Gewässers auf insgesamt einem Kilometer.
Bisher sei die Nidder kanalisiert gewesen, wie man dies in den 1960er Jahren gegen das immer wiederkehrende Hochwasser zu tun pflegte. »Danach sind die Hochwasser zwar spürbar zurückgegangen«, erinnert Lehr. Doch die Maßnahmen hatten auch negative Folgen – und die waren deutlich größer. Denn angefangen von Fischen über Vögel bis hin zu Insekten wurde die so kanalisierte Nidder zu einem lebensfeindlichen Raum. »Und natürlich hatten auch die Menschen damit einen Naherholungsort verloren«, so Lehr.
Deshalb hat er das Flussbett ausweiten lassen, damit sich die Nidder in Zukunft ihren Weg wieder selbst suchen kann. Natürlich aufseiten des Naturschutzgebiets, nicht auf der besiedelten Seite. So ist westlich der Brücke, über die die Landstraße nach Rendel führt, in einem gut 250 Meter langen Bogen ein neues Flussbett mit einigen Stromschnellen und Kiesbänken entstanden. Die Steinschüttungen auf der nicht bewohnten Seite der Nidder wurden komplett entfernt, das ehemalige Flussbett hingegen mit einem halbhohen Steinwall versehen.
»So wird der Nidder die Freiheit gelassen, sich ihren Weg mit der Zeit selbst zu wählen. Bei Hochwasser hingegen steht das alte Flussbett noch als Reserve zur Verfügung«, erklärt Lehr den neuen Flussverlauf und weist dann auf die Erfolge der Renaturierung der Nidda hin. Dort seien bereits die ersten Sumpfschildkröten, Biber, Fischotter und Eisvögel gesichtet worden. Und wie zur Demonstration fliegt in diesem Augenblick ein Eisvogel über den gerade geöffneten Bogen. Auch Forellen und Nasen erwartet der Wasserökonom demnächst wieder in den renaturierten Gewässern rund um Bad Vilbel. Zehn Jahre habe er auf diesen Moment warten müssen. Eine erste grobe Vorstellung von der Umgestaltung dieser als Retentionsfläche gedachten Wiesenlandschaft am Rande von Gronau habe er im Zuge der Renaturierungsmaßnahmen gehabt. Danach seien seine Vorstellungen mit der Stadt, der Unteren Naturschutz- sowie der Wasserbehörde abgestimmt und weiterentwickelt worden. Die größte Schwierigkeit sei dabei der Grundstückserwerb gewesen, erinnert sich Lehr. Entscheidend sei schließlich das Engagement der Gerty-Strohm-Stiftung gewesen, die dann anschließend auch die Finanzierung des Projektes übernommen habe.
»Wir sind als Stadt allen Beteiligten für ihr Engagement sehr dankbar, steht das Projekt doch für ökologische Vielfalt. Außerdem ist es ein echter Gewinn für die Tiere und die Menschen«, freute sich auch der Erste Stadtrat Bastian Zander (CDU) über den nächsten großen Schritt der Renaturierung der Nidda und der Nidder.
»Gebt den Flüssen mehr Raum und die Hochwassergefahr wird deutlich geringer«, lautet die Devise des Gewässerökologen. Aber weil man das Hochwasser vor 50 bis 60 Jahren mit Beton eindämmen wollte, muss er nun mit schwerem Gerät für dessen Beseitigung sorgen. Bis zu 1,50 Meter tief musste der Baggerführer an manchen Stellen ausheben, um Lehr zufriedenzustellen. »Tiefe Stellen sind für die Fische genauso wichtig wie die flachen Stellen. Darum herum gräbt sich der Fluss jetzt sein eigenes Bett«, ist er sich sicher.
Jetzt muss sich nur der Mensch noch einpassen. »Natürlich haben die Menschen ein Recht, sich an der Natur zu erfreuen. Aber das darf nicht so weit gehen, dass sie den Tieren keine Chance mehr lassen, sich an der Stelle niederzulassen«, so der Gewässerexperte. Deshalb komme es nun auf die Mischung an zwischen unberührter Natur und naturnahen Erlebnisräumen.
Aus diesem Grund ist er auch strikt gegen die Wünsche einiger Bürgerinnen und Bürger, auf der Insel einen Aufenthaltsraum oder Beobachtungspunkt einzurichten. »Genießen sollen die Bürger diesen Anblick von dem neuen Fuß- und Radweg, der gerade auf der anderen Seite der Nidder entsteht«, hofft Lehr auf Einsicht.
Von Jürgen W. Niehoff