Bad Vilbel. Der dunkle Burgpark wird zur individuellen Bühne. Mit Handy, Kopfhörern und vielen Lichtinstallationen werden Shakespeares Sonette mit allen Sinnen erlebbar. Ein Konzept, das sich Regisseurin Milena Wichert überlegt hat und mit einem Team umsetzt. So, wie es in Bad Vilbel zu sehen ist, ist das bisher einmalig in Deutschland.
Theater soll für alle erlebbar sein – und das mit allen Sinnen. Auf keinen Fall soll Theater elitär sein. Das ist Regisseurin Milena Wichert wichtig. Mit ihrem technischen Wissen und einem engagierten Team erschafft sich ganz besondere Theaterwelten: Zum Hören, Sehen, Staunen. Mit einer ausgeklügelten Technik im Hintergrund über Apps und Kopfhörer. So hat sie im letzten Jahr den Audiowalk durch den Burgpark geschaffen. Shakespeares Sonette an der frischen Luft für Besucher allumfassend erlebbar gemacht. Shakespeare auf den Ohren sozusagen.
Kurz währt des Sommers Zeit
Dieses bisher deutschlandweit einmalige Projekt war sehr erfolgreich und wird in der aktuellen Saison weitergehen. Shakespeares Sonette werden unter dem Titel »Kurz währt des Sommers Zeit« erlebbar. Mit Kopfhörern, die man sich im Kartenbüro leihen kann und einem Handy kann es auch schon losgehen. Technische Vorerfahrungen sind dafür nicht nötig. »Man muss mit wachen Augen durch den Park gehen«, sagt Wichert.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit geht es los: Dann gibt es viel zu hören, zu erleben und zu entdecken. Auszüge aus Shakespeares Sonetten werden von Schauspielern eingesprochen, unterlegt mit unterschiedlichen Klängen und Musik. Umgeben von Lichtinstallationen an vielen Stellen im Burgpark.
»Jeder wird zum eigenen Komponisten«, sagt Wichert. Denn je nachdem, wo die Besucher entlanglaufen, ist Unterschiedliches zu hören. Geräusche und Sprache vermischen sich und machen Shakespeares Worte lebendig. Es geht um Tag und Nacht, um aufwühlende Liebe, um Trennung oder Ablehnung. Läuft man an einer Bank vorbei kann es sein, dass von dort die Stimme eines Schauspielers zu hören ist, der zwar nicht dort sitzt, aber es sich so anhört als wäre er da. Rechts fährt auf einmal ein Fahrrad akustisch vorbei. Das funktioniert durch sogenannte Headtracker an den Kopfhörern, die die Kopfbewegungen erkennen. Die neue Technik der »Ear Pods« macht das noch deutlicher. Mit diesen ist ein 360-Grad-Hören möglich. Töne kommen also mal auf das rechte oder auf das linke Ohr oder direkt »auf die Person zu«. »Das gibt uns erstaunliche dramaturgische Möglichkeiten«, erklärt Wichert. Mit »uns« meint sie das Team, mit dem die Hamburgerin bei den Burgfestspielen zusammenarbeitet. Mit dabei sind Patrick Kerner als technischer Leiter und Sounddesignerin Louisa Beck.
Beide sind Teil des Kollektivs »Hella Lux«. Dieses hat Wichert 2015 gegründet. Generationsübergreifendes Theater, war und ist die Idee dahinter. »Wir möchten Theater auch außerhalb der Bühne machen; also in öffentlichen Räumen.« Technik soll dabei unterstützen, den künstlerischen Prozess aber nicht stören. Im Idealfall merkt der Zuschauer gar nicht, wie viel technischer Aufwand hinter dem Erleben steckt. »Es sollen neue Welten entstehen, wie im Burgpark. Eine Welt legt sich über die andere«, erklärt die Regisseurin.
Genau das fasziniert sie an ihrem Beruf: »Ich erschaffe Welten, in die ich Menschen ›entführen‹ kann und eröffne neue Perspektiven.« Diese Perspektiven kann und soll der Besucher im Burgpark selber einnehmen: Einfach die vorgegebenen Wege verlassen und mutig durch den Burgpark gehen. Unter einem Baum stehen bleiben und nach oben schauen: Dann entdeckt man in luftiger Höhe einen Lichtstab, hört Stimmen und Flüstern in den Baumwipfel.
Plötzlich wird der manchmal recht schwere Shakespeare-Stoff sehr leicht. Kopfhörer und Handy schaffen einen Zugang für jeden, der sich auf diesen besonderen, abendlichen Spaziergang einlässt. Für jeden mit allen Sinnen erlebbar – und gar nicht elitär.
Von Sabine Bornemann