Was Krieg und die tägliche Angst ums Leben bedeuten, haben besonders syrische Flüchtlinge erfahren. Einige haben Zuflucht in Karben gefunden. Für eine Familie ist jetzt der Asylantrag ge- nehmigt worden. Der Rendeler Sylvester Kuhn ist ihr ehrenamtlicher Pate und hilft mit Rat und Tat.
Karben. Aleppo ist eine Stadt mit klangvollem Namen, einer langen Geschichte und Wunden, die der Krieg in Syrien schlägt. Wer kann, flüchtet aus Aleppo, denn in der Zwei-Millionen-Stadt stehen sich syrische Truppen und islamistische Kämpfer gegenüber.
Als Gewehrkugeln durch die Fenster schlugen und die Schreie „Allah ist groß“ in unmittelbarer Nachbarschaft erklangen, beschlossen George* (53) und Rita* (42) zu gehen. Die syrischen Christen fürchteten um das Leben für sich und ihre beiden Kinder.
George löste seine Autowerkstatt auf und verkaufte alles, was möglich war, einschließlich der Möbel aus ihrem Haus. Seine Frau Rita gab ihre Arbeit in einer Schule auf. Gemeinsam mit den Kindern Roger* (17), Jessica* (14) und der Schwiegermutter verließen sie am frühen Morgen des 12. Mai 2014 ihre Heimatstadt. Mit dem Auto nahmen sie den Landweg über Tartus nach Beirut und hatten Glück, denn die Grenze zum Libanon war noch offen. Anderntags besorgte der Familienvater Flugtickets nach Istanbul in der Türkei.
Ein Jahr getrennt
Zwei Wochen schlüpften sie bei Bekannten unter, dann hatte George eine Überfahrtmöglichkeit nach Griechenland gefunden. Die Familie kam in einem griechischen Flüchtlingslager unter, wurde dort mit dem Nötigsten versorgt.
Wochen und Monate vergingen, bis sie nach und nach, auf getrennten Wegen, ihr Ziel Deutschland erreichten. In der Nähe von Frankfurt gab es Bekannte und Verwandte, denn viele syrische Christen leben schon im Rhein-Main- Gebiet. Es dauerte ein Jahr, bis die Familie wieder vereint war, erst in Gießen im zentralen Aufnahmelager und dann in Karben in einer der Flüchtlingswohnungen.
Mit dürren Worten berichtet diese Geschichte der ehrenamtliche Pate Sylvester Kuhn aus Rendel. Er hat sie sich erzählen lassen an den vielen Stunden, die er gemeinsam mit der Familie schon verbracht hat. „George und Rita sind aus ihrer Heimat geflohen, weil sie eine Zukunft ohne Krieg und Angst wollen“, sagt er.
Anfang dieses Jahres lernte Kuhn die Familie kennen. Der Runde Tisch Flüchtlinge suchte Helfer für die Flüchtlinge, und Kuhn meldete sich bei Stadtrat Philipp von Leonhardi (CDU). „Er stellte mich der Familie vor. Und da ist es passiert, ich habe sie in mein Herz geschlossen“, sagt Kuhn. Seitdem ist der Ruheständler für Sohn (17) und Tochter (14) zum wichtigen Gesprächspartner und Deutschlehrer geworden und für die ganze Familie ein zuverlässige Berater und Freund.
„Ich spreche mit den Lehrern der Kinder, bin mit dem Vater zum Arzt gefahren und helfe, wo es Schwierigkeiten gibt“, berichtet Kuhn. Das fange bei der Krankenkasse an und höre bei der Suche nach Arbeit nicht auf. Zu Anfang habe er fast täglich die Familie besucht und beraten. „Sie sind auf gutem Wege“, sagt Kuhn und freut sich, dass alle nun endlich nach dem Asylgesetz als Flüchtlinge anerkannt sind und die Eltern einen Deutschkurs belegen können. Eine Wohnung sei in Aussicht, im September könne die Familie aus der Flüchtlingsunterkunft in der Max-Planck-Straße ausziehen.
Tatkräftig bei der Wohnungssuche geholfen hat Gabriele Davis, Mitarbeiterin der Stadt und zuständig für die Flüchtlinge. Die Genehmigung erteilt hat das Jobcenter, das eine Kaltmiete bis höchstens 500 Euro übernimmt, berechnet für eine vierköpfige Familie.
Die beiden Kinder Roger und Jessica besuchen seit Januar die Kurt-Schumacher-Schule und starteten in der Klasse mit „Deutsch als Zweitsprache“. „Sie lernen schnell“, sagt Kuhn und sieht den Sohn in der 10. Klasse auf gutem Weg, den Realschulabschluss zu machen und danach das Abitur.
Weil beide Kinder gerne in ihrer Freizeit Basketball spielen wollten, hat Kuhn den Trainer und Vereinsvorstand des TV Okarben, der eine Basketballabteilung hat, angesprochen. Beide haben nun ein Vereinsstipendium erhalten und nehmen am Basketball-Training teil.
Schwierig: Jobsuche
Schritt für Schritt findet die Familie in ein normales Leben zurück, wie sie es einst in ihrer Heimatstadt Aleppo gehabt hat mit einem Zuhause, Freunden, Schule und Arbeit. Aber es sind noch viele Hürden zu nehmen. Am schwierigsten gestaltet es sich für die Eltern.
„Sie dürfen arbeiten, aber es ist sehr schwer, etwas zu finden“, erklärt Sylvester Kuhn. Die Mutter Rita hat Pädagogik studiert und arbeitete bis zu ihrer Flucht an einer Privatschule. Jetzt macht sie ein Praktikum in einem Kindergarten und hofft auf eine feste Arbeitsstelle. George ist erfahrener Karosseriespengler, der in seiner Werkstatt in Aleppo alles Mögliche repariert hatte.
* Namen von der Redaktion geändert