Bad Vilbel hat einen engagierten, aber auch streitbaren Mitbürger verloren: Rafael Zur ist tot. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in der Quellenstadt starb am Montag, 2. Februar, im Alter von 81 Jahren in einem Frankfurter Krankenhaus an den Folgen einer Lungenentzündung.
Bad Vilbel. Die Kappe auf dem Kopf war sein markantes Markenzeichen, wenn Rafael Zur durch Bad Vilbel ging. Was er oft tat. Es war zwar nicht seine Heimatstadt, aber hier lebte er – und engagierte sich. Dazu passte auch einer seiner letzten öffentlichen Auftritte im vergangenen Dezember – als die Veranstalter der Ausstellung „Legalisierter Raub“ (über die Enteignung der Juden in der NS-Zeit) Bilanz im Bad Vilbeler Kurhaus zogen. Zur beklagte erneut, dass die jüdische Vergangenheit noch bis 1980 in keinem Bad Vilbeler Heimatgeschichtsbuch erwähnt worden sei. Dann habe es weitere Jahrzehnte bis zu dieser Ausstellung gedauert, für die er sich einsetzte: „Ich war der Stachel in der Stadt.“ Die nächsten Generationen sollten sich in die Geschichte hineinversetzen, hoffte Zur.
Zurs Engagement liegt in seiner Biografie begründet – und reicht weit zurück. Er kam am 7. März 1933 in Rumänien zur Welt und wuchs in ländlichen Verhältnissen auf. Mit nur acht Jahren erlebte er ein Pogrom in seiner Heimat. Auf der Flucht vor dem Krieg und dem Judenhass flüchteten er und seine Geschwister monatelang mit dem Vater durch das Land gen Westen. In einem amerikanischen Lager kamen sie endlich zur Ruhe. Zurs Mutter war schon Monate zuvor in ein Zwangsarbeitslager gesteckt worden, sein Vater konnte sie schließlich in der Slowakei ausfindig machen und zurückbringen.
Geschichte der Juden
Nach dem Krieg machte Rafael Zur eine Lehre als Kfz-Mechaniker und gab sich überall als Türke aus, denn der Judenhass war noch nicht verklungen. Auch in Bad Vilbel hat man ihn später so kennengelernt. Hier betrieb er unter anderem ab 1980 acht Jahre lang ein Taxi- und Mietwagenunternehmen. Vorher aber wanderte er nach Israel aus. Dort trat Zur 1953 ins Militär ein, kämpfte in mehreren Kriegen, erlebte wieder Schreckliches. „Ich habe die Deutschen überlebt, um dann so einen Scheiß zu machen.“ Das alles hat er auch in seinem Buch „Die Unruhe des Rafael Zur“ (ISBN 978-3943041255, Preis: 12,90 Euro) festgehalten.
Irgendetwas sei dann psychisch bei ihm passiert, so Zur – was ihn zur abrupten Auswanderung 1976 nach Deutschland bewog.
„Ich will, dass etwas bleibt, ein Vermächtnis der Juden von Bad Vilbel“, lautete sein Vorsatz, den er auch mit Hingabe verwirklichte. Dank seines hartnäckigen Engagements entstand 1998 das dokumentarische Buch „Die Geschichte der Vilbeler Juden. Von der Integration zur Deportation“ von der Historikerin Berta Ritscher geschrieben und herausgegeben vom Bad Vilbeler Verein für Geschichte und Heimatpflege.
Zur erreichte unter anderem auch noch, dass die Friedhofsmauer vor rund zwölf Jahren ein neues Tor bekam. Auch ein Schild weist auf die Geschichte des Friedhofs hin, doch Zur empfand es als unvollständig – auch, weil dort nicht steht, wer für die Zerstörung des Areals im Zweiten Weltkrieg verantwortlich war.
Auch politisch war Rafael Zur aktiv: Vom 26. Januar 1996 als Nachrücker für Dr. Gräser saß er bis März 2006 für die SPD im Stadtparlament. 2007 schlug die SPD-Fraktion vor, Zur zum Ehrenbürger zu ernennen. Doch die damalige CDU-Mehrheit war dagegen. „Wir möchten die ablehnenden Gründe nicht in die Öffentlichkeit tragen, weil wir keinen Bürger beschädigen wollen“, erklärte Fraktionsvorsitzender Josef Maetz. (zlp)