Karben. Nun haben es die Anwohner Schwarz auf Weiß: Von Bad Vilbel über Dortelweil, Kloppenheim, Okarben und Wöllstadt bis Friedberg können sie seit einigen Tagen im „Lärmschutzaktionsplan Hessen“ lesen, dass es an der Main-Weser-Bahn viel zu laut ist.
„Der Plan zeigt zum ersten Mal auf, wie hoch die Lärmbelastung ist und wie viele Menschen betroffen sind“, erklärt Rolf Michelsen vom Regierungspräsidium Darmstadt (RP). Zwar fehlen ganz konkrete Lösungsvorschläge. Das einzuarbeiten, „dazu hat die Bahn keine Zustimmung gegeben“, räumt Michelsen ein. Jedoch führt der Plan etwas anderes auf: Alle Projekte, mit denen der Bund die Lärmbelastung senken will.
Und just dort findet sich auch die gesamte südliche Main-Weser-Bahn wieder: Von Bad Vilbel bis Butzbach sei die Strecke seit 2005 in Planung beim Lärmsanierungskonzept des Bundes. Für die einzelnen Projekte nennt der Plan als „geplanten Realisierungszeitraum“ für Butzbach 2013 bis 2015, sonst 2015 bis 2017. Also kommt der Lärmschutz in jedem Fall – so wie es das Aktionsbündnis gegen den Ausbau seit langem mutmaßt? „Ja, die Strecke wird auf jeden Fall lärmsaniert“, schließt Karbens Stadtplaner Ekkehart Böing aus der Lektüre des Plans. Er vermutet, dass die Strecke nur pro forma aufgeführt ist. „Denn es gibt ja noch kein Baurecht.“
Rolf Michelsen vom RP warnt sogar: „Der Bund macht das freiwillig“, lasse deshalb die üblichen Grenzwerte nicht gelten. Die „Lärmsanierung“ sei etwas anderes als Lärmschutz, der greife, sobald die Strecke ausgebaut werde. Dafür läuft die Planung ebenso.
„Nur für den Neu- oder Ausbau gelten die gesetzlichen Grenzwerte“, erläutert Michelsen. Sie sehen Tag- und Nacht-Maximalwerte von 59 und 49 Dezibel vor. Die Anwohner können diese notfalls einklagen. Anders bei der Lärmsanierung: Rechtsanspruch darauf habe niemand, erläutert der Fachmann.
Zwar stellt der Bund jedes Jahr 100 Millionen Euro bereit. Damit möglichst viele Strecken etwas abbekommen, hat er die Lärmwerte aber drastisch heraufgesetzt: Sie liegen bei tags 70, nachts 60 Dezibel. „Also mehr als zehn Dezibel höher, das ist erheblich mehr“, warnt Böing. Drei Dezibel entsprächen einer Lärmverdopplung. Die Folge: Die Schutzwände fielen in diesem Fall wesentlich kürzer und niedriger aus als für den Fall, dass die Strecke ausgebaut wird. „Für Kloppenheim war anfangs gar nichts vorgesehen“, sagt der Stadtplaner, inzwischen immerhin 300 Meter. Auf die Gesamtstrecke in der Wetterau von gut 40 Kilometern ist Lärmschutz auf 13,3 Kilometer vorgesehen.
Dabei droht in der Wetterau auch ohne Ausbau eine deutliche Zunahme an Güterverkehr. „Das ist ja politischer Konsens“, erinnert Böing daran, dass Güter von der Straße auf die Schiene sollten. Schon heute sei südlich von Friedberg genug Kapazität für mehr Güterverkehr vorhanden. „Vor allem nachts, am Wochenende und vormittags“, sagt Böing. Das hat das Umweltbundesamt bereits bestätigt: Es geht für das Jahr 2025 von täglich 110 Güterzügen aus. Dann habe die nicht ausgebaute Strecke aber immer noch eine Kapazität von 90 Zügen. Wegen dieses Wachstums sprachen sich die Kommunen entlang der Strecke alle einmütig dafür aus, mit dem S-Bahn-Ausbau den wesentlich besseren Lärmschutz mitzunehmen.
Diese Lösung umschifft zugleich den zweiten Pferdefuß der freiwilligen Lärmsanierung: „25 Prozent der Kosten für Lärmschutzfenster und ähnliches müssten die Hauseigentümer dann selbst bezahlen“, warnt Böing. Anders beim Ausbau: „Dann zahlt die Bahn alles.“ (den)