Karben will als Mittelzentrum anerkannt werden und kritisiert heftig die Landesregierung
Karben. Die Stadt möchte nicht länger Unterzentrum sein, sondern vom Land zum Mittelzentrum hochgestuft werden. Das würde Zuschüsse in Millionenhöhe in die Stadtkasse spülen. Weil das Land der Stadt eine Höherstufung aber verweigert, machen die Stadtverordneten jetzt Druck. Einstimmig verabschiedeten sie eine juristische Stellungnahme zum neuen Landesentwicklungsplan. Sie könnte Grundlage für eine Klage gegen das Land sein.
Wie soll sich das Land Hessen und wie sollen sich dessen Kommunen entwickeln? Diese und andere Fragen beantwortet der Landesentwicklungsplan (LEP). Da ist es wichtig, wie Städte bewertet und eingestuft werden, als Ober-, Mittel- oder Unterzentren. Dafür hat die landeseigene Hessen-Agentur Kriterien entwickelt und dem Land Empfehlungen gegeben.
Weil Karben als Stadt mit geringer Bedeutung eingestuft worden ist, wird im Rathaus geprüft, ob es Möglichkeiten gibt, sich auf juristischem Weg gegen diese Einstufung zu wehren. Eine 32-seitige Stellungnahme hat das Parlament jetzt einstimmig auf den Weg gebracht.
Keine Gewichtung der Einwohnerzahl
Die Stellungnahme zum LEP-Entwurf strotzt nur so von Kritik. Selbst für juristische Laien wird deutlich, dass in Karben viele Fehler im Entwurf entdeckt wurden. Von der »Ungeeignetheit der Prüfung mittelzentraler Kooperationen als Ziel der Raumordnung« ist die Rede, ebenso heißt es dort: »Fehlerhafte einseitige Zuordnung der Stadt Karben zum Mittelbereich der Stadt Bad Vilbel«.
Ferner wird Kritik geübt an »fehlender Gewichtung der Einwohnerzahl und falscher Einwohnerprognose«, von »schwerwiegenden Abwägungsfehlern« ist die Rede, dann wieder von »fehlerhafter Datenermittlung oder falscher Datenberücksichtigung«. Und es geht um eine »Abwägungsfehlentwicklung bei der Bewertung Kultur/Sport«.
Die Stadt Karben wehrt sich auch dagegen, quasi als »Anhängsel« des Mittelzentrums Bad Vilbel eingestuft zu werden. In der Stellungnahme heißt es zu den Pendlerverflechtungen: »Während die Stadt Bad Vilbel … einen erheblichen Auspendlerüberschuss sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in Höhe von 3490 aufweist (….), hat die Stadt Karben lediglich einen Auspendlerüberschuss in Höhe von 1367 (…), was die Zentralitätswirkung Karbens und deren vergleichsweise stärkere Sogwirkung fürs Umland deutlich macht.«
Zum Stichtag 30. Juni 2018 seien von Karben nach Bad Vilbel 593 Beschäftigte eingependelt, das seien gerade einmal 7,5 Prozent aller Einpendler nach Bad Vilbel. Von Bad Vilbel dagegen pendelten 327 Beschäftigte nach Karben, das seien nur 5,4 Prozent der Einpendler. »Wieso bei einer derart geringen Verflechtung die Stadt Karben einem Mittelbereich Bad Vilbel zugeschlagen werden soll, ist hier nicht nachzuvollziehen«, heißt es weiter.
Viele Einpendler aus der Wetterau
Zudem habe die Stadt Karben ein »deutliches Übergewicht an Einpendlern aus den umliegenden Kommunen des Wetteraukreises«. Allein aus Friedberg kämen 356 Menschen zum Arbeiten nach Karben, umgekehrt seien es aber nur 195 Karbener, die in Friedberg arbeiteten.
Karben führt auch ins Feld, dass die Stadt »als Schulstandort eine erheblich höhere Anziehungswirkung auf Bad Vilbels Schüler hat als umgekehrt«.
Von der Hessen-Agentur nicht einbezogen worden sei die Bevölkerungszahl, zum Stichtag seien das 22 127 Einwohner gewesen. Somit erfülle die Stadt schon über die Einwohnerzahl die Mindestzahl für ein Mittelzentrum. Während der LEP-Entwurf von einem Bevölkerungsrückgang ausgeht, weist Karben nach, dass es ab 2011 bis Ende 2018 einen Bevölkerungszuwachs von 4,4 Prozent gehabt habe. Dem Land wird wiederholt »fehlerhafte Datenermittlung« vorgeworfen, etwa was das Kriterium Schulzentralität angeht. Kritik hagelt es auch an den Ausführungen zum Bereich Kultur und Sport. »Überhaupt keine Bedeutung« messe der Entwurf dem Leichtathletikstadion mit Tartanlaufbahn, zwei angrenzenden Sportplätzen und Tribüne zu.
»Gleiches trifft auf den Bereich Kultur zu. Sowohl das Kino als auch das Bürgerzentrum und die Kulturscheune mit überregionalen Veranstaltungen sowie das überregional bedeutsame Landwirtschafts- und Heimatmuseum im Degenfeldschen Schloss sind nicht in die Bewertung der zentralörtlichen Infrastruktur mit eingeflossen.«
In Sachen ÖPNV ist von einem »Abwägungsmangel« die Rede. Hier werden sowohl die fünf Buslinien in der Stadt als auch die Schnellbuslinie und die S 6 aufgeführt. Zudem finde am Bahnhof eine Verknüpfung mit anderen Verkehrsträgern statt, also mit Pkw und Fahrrädern.
All das führt zum Vorwurf der Stadt an das Land: »Der Planungsträger hat das kommunale Gleichbehandlungsgebot verletzt.« Folgerichtig führte dies zum Antrag »die Stadt Karben … als polyzentrales Mittelzentrum … festzulegen«.
Bürgermeister Guido Rahn teilte auf Anfrage mit, Karben werde sich bald mit den übrigen Kommunen treffen, die eine Höherstufung beantragt haben, darunter Nidderau und Riedstadt, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Die Stadt sei notfalls bereit, ihre Rechte auf dem Klageweg prüfen zu lassen, zumal es Mittelzentren gebe, die nicht einmal die Hälfte der Einwohner der Stadt Karben hätten. Rahn weist darauf hin, dass es in Hessen nur drei Städte mit über 20 000 Einwohnern gebe, die nicht als Mittelzentrum eingestuft seien. Immerhin gehe es um rund zwei Millionen Euro pro Jahr für Stadt und Bürger.
Was ist ein Mittelzentrum?
Karben. Im Landesentwicklungsplan (LEP) sind Kriterien festgelegt, welche Anforderungen Kommunen erfüllen müssen, die als Mittelzentrum eingestuft werden wollen. In einem Mittelzentrum gibt es Einrichtungen von überörtlicher Bedeutung, und es muss eine Stadtmitte existieren. So will der LEP, dass im zentralen Ortsteil 7000 Menschen wohnen. Die Stadt Karben bezeichnet die Stadtmitte mit Groß- und Klein-Karben sowie Kloppenheim als Zentrum. Dessen Einwohnerzahl liege bald doppelt so hoch. Die Stadt sei zudem der viertgrößte Arbeitgeber im Kreis und verfüge mit Bad Nauheim über die höchste Arbeitsplatzdichte. Die Kurt-Schumacher-Schule habe ebenso überörtliche Bedeutung wie das Hallenbad und der öffentliche Nahverkehr. Zurzeit ist Karben als Unterzentrum eingruppiert, wo es laut Kriterien der Landesregierung Einrichtungen gibt, die weitgehend nur von den Bürgern der Stadt genutzt werden. (pe)