Bad Vilbel. Als Ayse Isik kürzlich ihren jüngeren Sohn für die Nachmittagsbetreuung bei der Lern- und Spielstube anmelden will, fällt sie aus allen Wolken. Der Hort für Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse nehme vorerst keine neuen Schüler auf, heißt es da. Und mehr noch: Im Sommer 2021 schließt die Einrichtung. »Ich war schockiert. Mein Mann und ich sind voll berufstätig. Ohne den Hort weiß ich nicht, wer meine Kinder betreuen soll«, sagt die Mutter, deren älterer Filius schon vor einem Jahr im Hort untergekommen ist.
Inzwischen hat die für Soziales zuständige Stadträtin Heike Freund-Hahn (FDP) auf Anfrage bestätigt: »Ja, die Spiel- und Lernstube schließt zum Ende des Schuljahres 2020/21.«
Voriges Jahr hatte die Tagesstätte noch ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert. Nun sagt die Sozialdezernentin: »Wir werden den Hort nicht weiter betreiben.« Was mit den Räumen in der Homburger Straße 66 b passiert, ist noch unklar.
29 AKTUELL IN BETREUUNG
29 Kinder werden derzeit in der Spiel- und Lernstube betreut. Werkstags um 12 Uhr geht es los. Eltern können aus drei Modulen wählen: Die vier Erzieherinnen beaufsichtigen die Kinder bis 15, 16 oder 17 Uhr. Es gibt einen großen Spielplatz vor der Haustür, ein gemeinsames Mittagessen, das von einer eigenen Küchenhilfe zubereitet wird, und eine professionelle Hausaufgabenbetreuung. Der wohl größte Pluspunkt ist aber, dass der Hort in den Schulferien nur zwei Wochen schließt.
Zuletzt mit den Eltern geschlossene Verträge seien bereits zeitlich begrenzt worden, erläutert Freund-Hahn. Jüngst habe das Kita-Büro auch einen Aufnahmestopp verhängt. Einzig wie mit nachrückenden Geschwisterkindern zu verfahren sei, sei noch nicht geklärt. Dass die Stadtverwaltung ein Ersatzangebot für den Schülerhort einrichtet, sei nicht vorgesehen.
»Der Hort an sich ist ein Auslaufmodell, weil die Schulen immer mehr auf Ganztagsbetreuung setzen«, sagt Freund-Hahn. Sie baut vor allem auf den »Pakt für den Nachmittag«, ein Programm des Landes, das helfen soll, an Grundschulen die Nachmittagsbetreuung auszubauen. Freund-Hahn: »Davon erhoffe ich mir ganz viel.«
Die Dortelweiler Regenbogenschule ist seit dem laufenden Schuljahr eine von vier Schulen in der Wetterau, die vom »Pakt für den Nachmittag« profitieren. Sie bietet damit in Bad Vilbel das umfangreichste Angebot der öffentlichen Grundschulen. Hier gibt es in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) an fünf Tagen in der Woche und in den Schulferien eine Nachmittagsbetreuung bis 17 Uhr. Auch Saalburgschule, Stadtschule und Ernst-Reuter-Schule haben Ganztagsangebote, wenn auch geringerem Umfang.
Dass die Stadt den Kinderhort betreibt, sei eine freiwillige Leistung. Dass nun in zwei Jahren das Ende der Lern- und Spielstube bevorsteht, hat laut Freund-Hahn mehrere Gründe. Zum einen verliere die Einrichtung zwei Mitarbeiterinnen, die dann in Rente beziehungsweise Altersteilzeit gehen. Zum anderen habe die Stadtverwaltung, vom Hessischen Rechnungshof das Signal bekommen, »sich aufs Kerngeschäft zu beschränken.« Das bedeutet: »Wenn wir die Erzieherstellen nachbesetzen können, werden wir sie auf die Kindergärten umlegen«, erklärt Heike Freund-Hahn. Dort würden sie dringender gebraucht. Zuletzt hatte die Stadt bekanntlich mit Personalproblemen in den Kitas zu kämpfen (wir berichteten).
ALTERNATIVE GESUCHT
»Der Hort ist eine tolle Sache«, sagt Ayse Isik. »Ein Riesenvorteil ist für mich auch, dass die Kinder vier Jahre lang die gleichen Betreuer haben. Etwa 200 Euro im Monat habe sie für ihren Sohn gezahlt. »Das haben wir gern gemacht«, sagt die Personalberaterin. Vom gemeinsamen Betreuungsangebot der AWO und der Saalburgschule, auf die ihr Ältester geht und die der jüngere auch besuchen wird, ist sie nicht überzeugt.
»Wir sind 2018 von Offenbach nach Bad Vilbel gezogen, weil es hier ein kinderfreundlicheres Umfeld geben soll«, erzählt Ayse Isik, die im Neubaugebiet am Ziegelhof in Massenheim wohnt. »Jetzt muss ich schlimmstenfalls meinen Job aufgeben.« Ihre Zukunftssorgen teilten viele Eltern in den Nachbarschaft, berichtet sie. Bis zum Äußersten will Isik es aber nicht kommen lassen. Sie überlegt, mit anderen Betroffenen eine Initiative zu gründen und den Hort in Eigenregie weiterzuführen. »Bis die Politik was macht, ist’s zu spät. Ich brauche bis nächstes Jahr eine Lösung.« Dann kommt ihr jüngster Sohn in die erste Klasse.
Von Alexander Gottschalk