Regisseurin Milena Paulovics inszeniert Friedrich Hebbels „Nibelungen“ als fesselndes Schauspiel in der Wasserburg. Nach der Premiere und dem ersten Vorstellungsblock gab es eine längere Pause, aber am Dienstag und Mittwoch (7. und 8. August) gibt es nun weitere Vorstellungen.
Bad Vilbel. Es geht um Macht, Mut und Liebe, Verrat und Tod. Die Nibelungensage erscheint als der Heldenmythos schlechthin. Der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel (1813-1863) hat sie einst als ausschweifendes Trauerstück für zwei Abende auf die Bühne gebracht. Mittlerweile ist die Kurzfassung zur Regel geworden, lässt sie sich doch besser planen und goutieren.
Bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen haben Regisseurin Milena Paulovics und Pascale Arndtz die Spielfläche in der Wasserburg dafür leergeräumt. Eine schräg aufs Publikum zulaufende Rampe dient als Tatort für Mord und Totschlag. Die Bodenplatten lassen sich anheben und herausnehmen. So entstehen Muster wie ein Kreuz zur Beerdigung des gemeuchelten Drachentöters Siegfried (Felix Lampert), und Leichen lassen sich durch die aufklaffenden Löcher schnell und problemlos entsorgen.
Davon wird es reichlich geben am Ende des zweieinhalbstündigen Geschehens. Dabei fängt alles harmlos an. Der Hofstaat von König Gunther (John Wesley Zielmann) lungert gelangweilt herum. Unter denen, die die Recken geben, ragt einer hellblond und hochgewachsen hervor: Giselher (Sergej Czerpurnyi), der jüngere Bruder des Herrschers. Er wird es sein, den Schwester Kriemhild bei ihrem späteren Racheakt zu schonen versucht und der doch, wie fast alle anderen, sein Leben lassen muss.
Kleinlauter Kämpfer
In körperlicher Hinsicht scheint Siegfried, mit dessen Ankunft die Tragödie ins Rollen kommt, es mit den Burgundern kaum aufnehmen zu können. Doch seine Vorgeschichten lassen sie vor Respekt erstarren. Nur vor einer wird der kühne Kämpfer kleinlaut und zappelig: Kriemhild (Laura Bleimund) ist’s, die den eigentlich Wagemutigen stottern lässt.
Die Frauen sind die betont starken Wesen in dieser Inszenierung: Die Königsschwester, die ihren späteren Gatten Etzel (Martin Bringmann) nach Blut dürstend zum Auslöschen ihrer Familie bringt. Und die robuste Brunhild (Britta Hübel), die keinen an sich heranlässt, der sie vorher nicht bezwingt. Im Ringen um die Gunst des begehrten Mannweibs werden Gunther die Knie weich – wie die Majestät sowieso gerne mal belustigend schwächelt.
Der Einzige, der es offenbar mit den umgarnten Weibern aufnehmen kann, ist Hagen von Tronje, den Thorsten Danner als älteren, aber gerade dadurch mit allen Wassern gewaschenen Intriganten gibt. Der angeblich für die Treue Grenzen überschreitende Gefolgsmann Gunthers liefert sich ein schonungsloses Duell mit Siegfrieds Witwe, in dem er vor Überheblichkeit strotzend in allen Lagen Ruhe bewahrt.
Es braucht eine Weile, bis man hineingezogen wird in dieses Ränkespiel. Doch dank des spartanischen Bühnenbildes, der historischen Festung, die auch mit ihren Mauern, Treppen und Gängen genutzt wird, und der ebenfalls von· Arndtz entworfenen passenden Kostümen, in denen allein die Frauen für Farbtupfer im tristen Grau sorgen, ist man bald von den Nibelungen gebannt. Zumal die Nacht heraufzieht über der Anlage und sich das Blickfeld immer mehr auf das Wesentliche reduziert.
Behäbige Duelle
Die sowieso schon an den Nerven zupfende Atmosphäre wird durch passende, von Michael Rodach ersonnene düstere Klänge gesteigert. Die Schwertkämpfe, von Annette Bauer choreografiert, wirken etwas behäbig, kontrolliert und langsam, doch das könnte auch dem Gewicht der großen Waffen geschuldet sein. Für Spannung sorgen sie trotzdem.
Auch die Klappentechnik des Bodens hat ihren Reiz, selbst wenn sich die Bedeutung der Formationen nicht immer entschlüsseln lässt. Am Ende bekommt das Auf und Ab eine leicht lächerliche Note. Blutüberströmte Körper oder auch nur Teile steigen aus der Tiefe empor und fallen wieder dahin zurück. Gunther verlangt, final getroffen, nach einem Stuhl und findet stattdessen nur eine Kante. Die Aufführung schwankt auf den schmalen Balken, die allein an einigen Stellen noch vor dem Absturz bewahren, zwischen Tragik und Komik hin und her, vermag die Balance jedoch zu halten.
Irgendwann liegen die meisten Protagonisten zusammengesunken dort, wo alles begann. Nun nicht mehr vom Nichtstun erschöpft, sondern von Stichen und Hieben ihres letzten Atems beraubt.
Außer Kontrolle
Kriemhild und Hagen tun dies eng umschlungen, ein Paar, das ganz gegensätzliche Ziele, aber mit der gleichen ausgeprägten Konsequenz und grausamen Härte verfolgt hat. Das Ganze geriet außer Kontrolle. Nur der Hunnenkönig steht noch hoch aufgerichtet und doch vom Gemetzel im eigenen Haus gezeichnet. „Schleppt die Welt auf eurem Rücken weiter!“, fordert Etzel auf. Eine Welt, in die man erst einmal wieder zurückfinden muss.
„Die Nibelungen“ sind noch sechsmal in der Burg zu sehen: am 7., 8., 13., 14., 28. und 29. August. Beginn ist jeweils um 20.15 Uhr. Karten kosten zwischen 21 und 44 Euro; erhältlich im Klaus-Havenstein-Weg 1, Tel. (06101) 559455, oder unter www.kultur-bad-vilbel.de.