Bad Vilbel. »Briefe aus der Asche – die Aufzeichnungen des jüdischen Sonderkommandos Auschwitz« lautet der Titel des Buches des Historikers Pavel Polian. Er stellte es anlässlich des Holocaust-Gedenktags in der Stadtbibliothek Bad Vilbel mit dem befreundeten Historiker Andreas Kilian vor, der ebenfalls die Geschichte des Sonderkommandos erforscht.
Das Sonderkommando bestand aus über 2000 zumeist jüdischen Häftlingen verschiedener Nationalitäten, die vor allem in den Krematorien Zwangsarbeit leisten mussten. »Es waren tragische Personen, sie hatten keine Wahl«, sagt Pavel Polian. Die SS zwang sie, beim Verbrennen der Leichen in den Krematorien, beim Entsorgen der Asche und Beseitigen der Spuren mitzuhelfen. Einige dieser Gefangenen – »die letzten Zeugen, die den Holocaust nicht nur gesehen, sondern auch dokumentiert haben«, wie Andreas Kilian sagt – verfassten heimlich Notizen oder schrieben Briefe, die sie in Behältnisse steckten und in der Erde auf dem Gelände der Gaskammern und Krematorien vergruben.
Wieder lesbar dank
moderner Technik
Zwischen 1945 und 1980 wurden sie dort gefunden – sechs Notizhefte, vier Briefe und eine Liste in jiddischer, französischer, griechischer und polnischer Sprache. Ein Teil konnte mit moderner Technik wieder lesbar gemacht werden. Der deutsch-russische Historiker Polian, der auch Experte für die russische Archivlandschaft ist, stieß 2002 bei seinen Recherchen zu russischen Kriegsgefangenen im Archiv der militär-medizinischen Akademie in St. Petersburg auf einige der Dokumente. 2004 begannen die Übersetzungen, 2005 erschien seine erste Veröffentlichung dazu. Nun legte er mit »Briefe aus der Asche« eine vollständige Sammlung und Dokumentation vor – mit vielen Fotos der Verfasser und der Manuskripte.
Es herrschte Stille in der Stadtbibliothek, als Andreas Kilian die mit »Im Herzen der Hölle« betitelten Aufzeichnungen von Zalman Gradowsky vorlas, in denen er von der »irdischen Hölle« schreibt, von der »Barbarei und Grausamkeit«, von der die Welt wenigstens einen kleinen Teil erfahren solle. Er berichtet von seiner Familie, die im Dezember 1942 getötet wurde, und weiß um seinen eigenen baldigen Tod. Er könne nicht weinen, schreibt er, hofft jedoch, dass andere das später einmal tun werden. »Es gibt viele Wunder in diesem Projekt«, sagt Polian zu den Recherchen und dem Bemühen, alle Dokumente den richtigen Verfassern zuzuordnen und der Nachwelt zu erhalten.
Originalbrief in
Paris gefunden
Andreas Kilian berichtet von seinen Forschungen zu einem Abschiedsbrief, dem polnische Forscher seiner Meinung nach den falschen Verfasser zugeordnet hatten und von dem es nur eine Abschrift gab. Sie führten ihn nach Paris, wo er tatsächlich den Originalbrief aufspürte – bei der Familie, an die er gerichtet war und die den Brief im Tresor aufbewahrte. Polian las diesen Brief von Hersch Strasfogel vor, der 20 Monate im Lager war und gleich bei seiner Ankunft ins Sonderkommando gezwungen wurde. Auch er nutzt das Bild der Hölle: »Die Hölle von Dante ist lächerlich im Vergleich [zur Hölle hier.« Wie Zalman Gradowsky ist er sich seines bevorstehenden Todes bewusst.
Der zweite Abschiedsbrief stammt von Marcel Nadjari und wurde 1980 schwer beschädigt in einem zerbrochenen Glaskolben gefunden. In einem Film zeigten die beiden Historiker, wie er mit Scans und multispektralen Methoden lesbar gemacht wurde.
Zentrale Dokumente des Holocaust
»Wir geben nicht auf, die letzten Handschriften des Sonderkommandos zu suchen, es ist unsere Verpflichtung«, sagt Andreas Killian. Obwohl die derzeitige geopolitische Situation es erschwere, in Archiven in Russland oder Polen zu forschen, wie Pavel Polian ergänzt. Doch »die symbolische Kraft der Dokumente ist sehr hoch«. Sein Traum sei, sie alle gemeinsam der Welt zu zeigen, denn: »Das sind die zentralen Dokumente des Holocaust.«
Die Buchvorstellung war eine Kooperation der Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer und der Stadtbibliothek. Unterstützt wurde sie von der Kulturinitiative der Naturfreunde Bad Vilbel und der AWO Bad Vilbel. Von Christiane Kauer
Pavel Polian: Briefe aus der Asche – Die Aufzeichnungen des jüdischen Sonderkommandos Auschwitz. 672 Seiten. 38 Euro, eBook 29,99 Euro
Infos zum Verein: www.lagergemeinschaft-auschwitz.de