Bad Vilbel. „Komm ich zeig Dir mein Musikzimmer“, sagt Helmut Lehr (74). „Aber da liegt nicht nur eine Mundharmonika rum“, fügt seine Frau Inge Lehr (71), geborene Keller, gleich hinzu und schon sind wir zu dritt auf dem Weg nach oben. Hinter der Treppe öffnet sich ein geräumiges Dachzimmer und wirklich – da spielt die Musik. Ein gesamtes Orchester könnte sich hier bedienen.
An Wänden und Pfosten hängen vom Kaiserbass (Tuba) über Zugposaune, mehrere Trompeten und Helmut Lehrs Klarinette, noch Flügelhörner, ein Kornett, eine Lyra, eine Violine, sogar ein Kontrabass fehlt nicht. Schnell geraten Helmut und Inge Lehr, die am 2. (standesamtliche) und 3. Oktober (kirchliche Trauung) zwei Tage lang ihre goldene Hochzeit feiern, „in Fahrt“.
Mit leuchtenden Augen erzählt der SPD-Ehrenstadtrat Lehr vom Musikverein Sylvia, der unter dem Vorsitz von Lehrs Vater, Wilhelm Lehr, zeitweise sogar stärker als die Stadtkapelle gewesen sein soll, von Musikantenkonzerten und den schönen alten Zeiten.
Geschenke zu ihrer „Goldenen“ wollen die beiden nicht für sich, sondern als Spenden für die Vilbeler Tafel und die Tiertafel Frankfurt. Denn den Lehrs geht es gut, sie sind glücklich in ihrem zweistockigen Haus auf einem 850 Quadratmeter großen Grundstück in der Parkstraße, wo Helmut Lehr als Gärtner beweist, dass der „rote Politiker“ eigentlich einen prima grünen Daumen hat.
Jahre lang haben Helmut und Inge Lehr Hilfsgüter für Russland gesammelt, Kleider, Schuhe, Spielzeuge, Krankenhausausstattungsgegenstände, die nach Saratow, ins Donetzbecken gingen, nach St. Petersburg, Tular oder Moskau.
Beruflich haben beide als Selbständige auf eigenen Beinen gestanden. Helmuth Lehr ist gelernter Werkzeugmacher, betrieb 33 Jahre lang eine gut gehende Reparaturwerkstätte für Schreibmaschinen (mit Verkauf), während Inge Lehr, gelernte Kauffrau, von 1973 bis 2000 eine Firma für Bürobedarf führte. „Wir haben viel gearbeitet“, sagt sie, „mit acht Stunden am Tag war es da nicht getan!“
Ein Blick auf das Leben der Familie Lehr kommt ohne ein „politisches Kapitel“ nicht aus. Nach der Musik wurde die Politik Helmut Lehrs größte Leidenschaft, „nicht die große Politik, die interessiert mich wenig, aber hier für unsere Vilbeler Bürger was tun und die Stadt vorantreiben“, sagt der Sozialdemokrat und lässt im Handumdrehen Revue passieren, was er mit seinem geschätzten schwarzen Freund von der CDU, Klaus Minkel, alles für die Stadt „auf den Weg gebracht hat“ – begonnen mit dem neuen Polizeigebäude und dem Feuerwehrstützpunkt bis zum Ankauf der Alten Mühle. Manche Zuschüsse hat er bei seinen Genossen in Wiesbaden losgetreten. Minkel wiederum zahlte ihm das alles „heim“, indem er als Dank den „Lehrpfad“ Ende der 90er Jahre im Kurpark einrichtete. Und so ist Helmut Lehr der einzige lebende Kommunalpolitiker dieser Stadt, nach dem schon zu Lebzeiten ein Weg benannt wurde.
Genosse ist Helmut Lehr seit 1968. Zwölf Jahre lang war er SPD-Stadtverordneter, von 1984 bis 1997 saß er für seine Partei ehrenamtlich im Magistrat und zwölf Jahre im Verwaltungsrat der Sparkasse Wetterau, heute gehört er noch dem Ehrenbeirat der Sparkasse Oberhessen an. Dass er in die „Politik reingerutscht“ ist, hat er dem ehemaligen Vilbeler Bürgermeister Georg Muth zu verdanken. Der habe ihn eines Tages besucht und ihm dabei gesagt: „Helmut, Du könntest Dich auch mal um deine Stadt kümmern!“ Dieser Satz ließ ihn nicht mehr los und etliche Zeit später, vollzog er dann den Schritt, trat in die Partei ein und kümmerte sich um seine Stadt. „Daran hat sich bis heute nichts geändert!“, sagt er und bereut es nicht.