Nach über 50 Jahren fließt die Nidda bei Klein-Karben wieder im natürlichen Flussbett. Auf 20 Hektar erhält die Natur eine Nische. Und die Karbener können ihren Fluss an zwei Stellen neu entdecken.
Karben. Links oder rechts? Wer in der vorigen Woche zu dem großen Ereignis wollte, musste sich für eine Uferseite entscheiden. Die Prominenz versammelte sich flussabwärts rechts, wo ein Bagger an einem dünnen Wall knabberte, der die neue Flussschleife vom kanalisierten Altlauf trennt.
Dahinter sorgt ein Steinwall dafür, dass der Fluss nach über 50 Jahren wieder zurück in seine mäandernde Form findet. Um 11.42 Uhr ist es soweit. Aufmerksame Zuschauer entdecken erst ein Rinnsal an dem Erdwall, doch ein weiterer Schaufelgriff macht den Weg frei. Schäumend ergießt sich die Nidda in die neue Schleife gen Dortelweil. Am Niddaknie ist der Fluss im Frühjahr 2001 erstmals renaturiert worden, auf 600 Metern Länge.
Mehr Rückzugsräume
Südlich von Klein-Karben renaturierte die Gerty-Strohm-Stiftung jetzt in einer Länge von fast einem Kilometer die Nidda. Der alte Flusslauf bleibt parallel dazu als Still- und Überflutungsgewässer bestehen. Gleichzeitig bildet sich eine Insel, die sich als Ruhe- und Rückzugsraum für Reptilien und viele andere Tierarten entwickeln wird. Hochwasserschutzdämme werden um bis zu 250 Meter nach Westen verlegt, damit sich zwischen Flussbett und Damm eine extensiv genutzte Weide entwickeln kann, die Überflutungsfläche ist.
Genau genommen sind es künftig drei Schleifen, erläutert Gewässerökologe und Bauleiter Gottfried Lehr. Ein Teich ist schon entstanden, zwei kleinere sollen noch folgen. In zwei Wochen soll die Renaturierung abgeschlossen sein, jetzt müsse nur noch das Ufer modelliert werden. Dazu sollen an den beiden Enden der Umgestaltung Zugangsbereiche entstehen.
In der Ferne sieht man bereits den Hochwasserdamm, auf dem der künftige Radweg verlaufen wird. Die Länge der auszubauenden Niddaroute im Bereich Niddarenaturierung Gerty-Strohm-Stiftung betrage 1,4 Kilometer, erläutert Ekkehart Böing, der im Karbener Rathaus die Geschäftsstelle des Zweckverbands Regionalpark Niddaradweg betreut.
Die Baukosten werden auf 400 000 Euro geschätzt. Die Bauzeit betrage zehn Wochen, die Vorbereitung sechs Wochen. Erst jetzt habe man den fertiggestellten Damm vermessen und die Ausführungsplanung erstellen können. Im April rechne er auch mit dem Förderbescheid des Landes. Dann könne es zügig vorangehen, bis Sommer der Radweg fertig sein. Bürgermeister Guido Rahn (CDU) ist vorsichtiger, möchte den Herbst als spätesten Termin nennen.
Der künftige Weg um die renaturierte Fläche ist auf drei Metern Breite asphaltiert. Parallel dazu verläuft ein unbefestigter, eineinhalb Meter breiter Trampelpfad für Jogger. Der Anblick der sich dahinschlängelnden Nidda ist auch für Rahn neu.
Er lebe zwar schon 52 Jahre in Karben, aber an die ursprünglich fließende Nidda könne er sich nicht mehr erinnern. Dafür umso besser an den Aufwand für die Umgestaltung: „Das war ein langer Weg, die Anfänge waren schon 2010 / 11. Hansgeorg Jehner ist mit seiner Stiftung auf uns zugekommen, die Ackergrundstücke waren alle in städtischem Besitz“. Naturschutzrechtliche Planungen und Gutachten seien sehr aufwendig gewesen, „aber jetzt ist alles gut“.
Zufrieden ist auch Jehner selbst: „Es ist so geworden, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagt er. „Aber die Nidda ist fast hundert Kilometer lang und an vielen Stellen noch nicht renaturiert.“ In Bad Vilbel gebe es noch Pläne, aber darüber wolle er nichts verraten, sagt er, steigt in einen geräuschlosen Golf-Caddy und fährt zurück nach Dortelweil.
Amphibien, Reptilien
Erwartungsvoll ist auch Hanne Tinkl vom Bad Vilbeler Verein für Vogelschutz und Landschaftspflege. „Da wird bald der Steinschmätzer brüten“, hofft sie. Dieser und andere Vögel benötigten offene Landschaften, aber auch Nischen, etwa mit Kiesufern, ein abwechslungsreiches Biotop mit Wasser und Schilf.
Auch Amphibien und Reptilien sollen dort ihr Refugium finden, erläutert Rudolf Wickert. Der Ex-Leiter des Frankfurter Zoo-Exotariums ist Berater fürs Renaturierungsprojekt. Doch es müsse nachgeholfen, Grünflächen angesät werden: „Hier ist ja nichts, außer Agrar!“