Die gegenwärtige Passions- bzw. Fastenzeit findet in unserer Gesellschaft nur ein geringes Echo. Es gibt zwar Menschen, die für 40 Tage bis Ostern auf etwas Bestimmtes verzichten. Doch für die meisten ist solch eine Übung wenig reizvoll. Zu ausgeprägt ist das Bestreben, das eigene Leben möglichst uneingeschränkt zu genießen. Einschränkungen gibt es bereits genug, warum also noch freiwillige Bürden auf sich nehmen? Der Sinn für einen freiwilligen Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, auf Zeit oder eine liebgewordene Gewohnheit erschließt sich für viele nicht.
Umso radikaler muss dann Jesu Aussage wirken, die den derzeitigen Wochenspruch bildet: „Amen, ich versichere euch: Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Aber wenn es stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren. Wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es für das ewige Leben bewahren.“ (Johannesevangelium 12,24-25) Jesus hat den Gedanken des Verzichts auf die Spitze getrieben, als er den Anspruch auf sein ganz eigenes Leben aufgab. Während die Jünger Jesu ihn in dem Glauben begleiteten, dass er in Jerusalem seinen Herrschaftsanspruch machtvoll durchsetzen würde, erklärt Jesus sich bereit, auf sein Leben zu verzichten. Doch dieser Verzicht dient einem weitaus größeren Gewinn. Das versucht Jesus am Beispiel des Weizenkorns deutlich zu machen. Wird solch ein Weizenkorn aufbewahrt, bleibt es zwar erhalten, jedoch auch für sich allein. Wird es hingegen begraben, ist dies zwar heute ein Verlust, morgen aber ein vielfach größerer Gewinn. Jesus überträgt dieses Prinzip auf unsere Lebensführung. Wer meint, vorrangig das Wohl seines eigenen Lebens absichern zu müssen, dem wird es gegenwärtig sicherlich gut gehen. Jedoch wird er irgendwann sein Leben für sich alleine aufgelebt haben, ohne das es für ihn noch eine Perspektive gibt. Wohingegen derjenige, der zum Vorteil für andere selbst auf Annehmlichkeiten verzichtet, am Ende einen vielfachen Gewinn aus diesem Verzicht erwarten darf. Jesus Christus ist diesen Weg in aller Konsequenz gegangen. Sein Verlust ist heute unser Gewinn. In der Fastenzeit stellt sich uns neu die Frage, wie nutzen wir diesen Gewinn?
Diese abstrakte Abhandlung lässt sich am Beispiel von Kindern sehr schön konkretisieren. Durch die jüngsten Diskussionen um die Einrichtung und Gestaltung von Kindergartenplätzen und Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde wieder einmal deutlich: Kinder beanspruchen Aufmerksamkeit, Zeit und auch Geld. Eltern, Erzieher, Lehrer und Ehrenamtliche verzichten für Kinder auf vieles und dies über Jahre. Sie leben hingebungsvoll ein jahrelanges „Fasten“ zugunsten der Kinder. Für manch einen mag dies abschreckend sein. Viele andere haben gerade durch den gelebten Verzicht „ihr Leben“ gewonnen. Kinder sind eine sehr schöne Einladung zum Fasten. Verzichten Sie doch einmal auf etwas zugunsten von Kindern.
Clemens Breest,
Pastor der Freien ev. Gemeinde
Bad Vilbel