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Gedenktafel für Moritz Roß enthüllt

570 Karbener und Karbenerinnen sind im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. Schülerinnen und Schüler der Kurt-Schumacher-Schule lesen die Namen der Toten vor. Foto: Jürgen W. Niehoff
570 Karbener und Karbenerinnen sind im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. Schülerinnen und Schüler der Kurt-Schumacher-Schule lesen die Namen der Toten vor. Foto: Jürgen W. Niehoff

Karben. War es das Rahmenprogramm mit der Verlesung der Namen der 570 Toten aus dem Zweiten Weltkrieg und des Holocausts sowie die anschließende Enthüllung des Denkmals für einen in der NS-Zeit im KZ ermordeten Juden oder sind es die dramatischen Umstände in der Welt mit den vielen Kriegen, die so viele Besucher zur Gedenkfeier am Sonntagvormittag auf den Klein-Kärber Waldfriedhof anlockten?
Aus Platzgründen gab’s für viele der weit über 100 Teilnehmer am Gedenkgottesdienst nur noch Stehplätze vor der Trauerhalle des Waldfriedhofs in Klein-Karben. Der Gottesdienst war geprägt vom Auftritt der Theatergruppe um den inzwischen pensionierten Pfarrer Werner Giesler. Ihr Thema: Der aufkeimende Antisemitismus sowie die Vorurteile gegenüber Juden, die von Generation zu Generation weitergetragen werden.
»Haben wir mit dem Holocaust nicht genug Schuld auf uns geladen? Warum keimt der Antisemitismus nun schon wieder auf?«, war einer der Feststellungen. Die acht Jugendlichen aus der evangelischen Kirchengemeinde haben ihre Szenen an Texten ausgerichtet, die aus der Gegenwart stammen oder aus den Sammlungen des jüdischen Museums Berlin, der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus sowie aus Gesprächen mit Karbener Bürgern. Eine Szene setzte sich mit dem historischen Judensau-Relief an der Stiftskirche in Wittenberg aus dem Jahr 1280 auseinander. Eine andere Szene hatte Martin Luthers Ablehnung der Juden zum Thema. Diese sei später vielfach zur Untermauerung des Antisemitismus genutzt worden. Dabei habe Luther die Juden angegangen, weil sie den christlichen Glauben nicht akzeptieren wollten.
In seiner Predigt warnte Pfarrer Eckhart Dautenheimer vor dem Antisemitismus. Nach all den Gräueltaten in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten müsse endlich einmal Schluss sein. Jeder Einzelne müsse deshalb Verantwortung für das »nie wieder« und »nie wieder – jetzt« tragen, appellierte Pfarrer Dautenheimer.
Angehörige
eingeladen

Anschließend ging’s zum Friedenswald hinter dem Friedhof. Hier hat die Initiative Friedenswald unter Leitung von Stephan Kuger gemeinsam mit der Stadt ein Mahnmal für die im Krieg gefallenen Karbener errichten lassen. Die ersten Ideen dazu gab es vor fünf Jahren. Kugers Beharrlichkeit sei es zu verdanken, dass heute direkt hinter dem Friedhof eine Gedenkplatte liegt mit den Namen der 570 Toten aus dem Zweiten Weltkrieg und dazu 570 Bäume angepflanzt wurden. »Wir haben vor der Veranstaltung versucht, so viele Angehörige der Toten wie möglich zu erreichen«, berichtet Kuger dieser Zeitung. Dabei habe sich herausgestellt, dass einem Großteil nicht einmal bekannt war, dass Angehörige von ihnen im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
Der Initiative Friedenswald gehören übrigens Vertreter der Stadt Karben, der evangelischen Gesamtkirchengemeinde, der Initiative Stolpersteine, des Karbener Geschichtsvereins und der Kurt-Schumacher-Schule an. Bevor sechs Schüler dieser Schule dann die 570 Namen der Karbener Opfer des Zweiten Weltkrieges verlasen, erinnerte Bürgermeister Guido Rahn (CDU) daran, dass sich unter den Opfern nicht nur Soldaten, sondern auch Kinder, Frauen und alte Menschen befunden haben.
Auch wenn an den Volkstrauertagen der Toten nur im Stillen gedacht werde, so sollte doch endlich gehandelt und Friede überall auf der Erde geschlossen werden. Pfarrer i. R. Giesler und Hartmut Polzer richteten ihre Blicke auf den wieder aufkeimenden Antisemitismus und eines der Opfer dieser Judenfeindlichkeit aus der NS-Zeit. Moritz Roß. Ihm wurde an diesem Tag eine neue Gedenktafel gewidmet, die seine Lebensgeschichte wiedergibt: 1888 in Groß-Karben geboren, im Ersten Weltkrieg schwer verwundet und deshalb mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, wurde er trotzdem 1938 gezwungen, sein Geschäft in Karben aufzugeben, mit seiner Familie nach Frankfurt zu ziehen. Von hier aus ist er 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Klara ins Konzentrationslager verschleppt und ermordet worden.
Wege führen strahlenförmig von der Gedenktafel an die Ränder der Gedenkstätte. Am Ende jeden Weges wird an ein Kriegsereignis aus Karben erinnert. Beispielsweise an den Bombenabwurf über Rendel, bei dem fünf Menschen umkamen.
Von Jürgen W. Niehoff

Friedenswald
Die Gedenkstätte Friedenswald soll ein Ort zum Gedenken und Nachdenken sein. 570 Hainbuchen erinnern an jeden Karbener Toten des Zweiten Weltkrieges. Sie sollen symbolisieren, dass mit ihnen auch die Hoffnung in die Zukunft wächst. Von der zentralen Gedenktafel mit den 570 Namen der Opfer führen strahlenförmig Wege in Sackgassen – so wie auch der Lebensweg und die Träume der Menschen abrupt endeten – zum Rand. Auf der Tafel am Ende eines jeden Weges wird jeweils ein Schicksal aus allen Ortsteilen vorgestellt, um den Namen wieder ein Gesicht zu geben. (jwn)