Eine tragische Biografie stellte Stefan Kunz für den Geschichtsverein vor. Siegfried Wechsler (1892 – 1942), Jude und Mineralbrunnenbesitzer, war erfolgreicher und angesehener Geschäftsmann, seine Familie lebte seit 1824 in Vilbel. Doch mit den Nazis kam der tiefe Fall. Nach Schikanen und Überfällen kam die Deportation ins Konzentrationslager. Und statt eines Totenscheines gibt es ein letztes Dokument der Finanzbehörde.
Bad Vilbel. Eigentlich ist Stefan Kunz bei der Hassia beschäftigt, dort begann sein Interesse an Sammelstücken der Mineralwasserbranche. Seit 1981 erforscht er ihre Geschichte. Zufällig stieß er auf eBay auf ein altes Emaille-Schild der Siegfried-Quelle. Das zeichnete sich durch werbliche Raffinesse aus, zeigte den Drachen Siegfried – was später noch zum Problem wurde. Das Schild brachte er auch mit zum Vortrag in der Stadtbibliothek.
Koscheres Wasser
Siegfried Wechsler erbohrte einen Brunnen 1928/29 auf seinem Grundstück in der Frankfurter Straße 20. Weil er darauf achtete, nicht tiefer als 15 Meter vorzudringen, war er außen vor, als später viele Brunnenbohrer vor Gericht kamen. Wechsler stammt aus einer alten jüdischen Familie, die 1824 aus dem ostfriesischen Leer nach Vilbel zog. Akribisch recherchierte Kunz in Originalunterlagen, Familiennachlässen, Standesämtern und dem Hessischen Staatsarchiv deren Lebensweg. Siegfrieds Vater Simon betrieb einen Mehl- und Futterhandel, 1919 kam der Mineralwasserhandel hinzu.
Damals florierte das Geschäft, 1934 belegte die Siegfried-Quelle Platz zehn beim Umsatz der damals 25 Vilbeler Quellenbetriebe. Vor der Machtübernahme der Nazis war es ganz selbstverständlich, dass koscheres Wasser für das Pessach-Fest beworben wurde.
Im Mai 1934 musste Wechsler nach einer Klage zunächst auf das germanische Drachensymbol verzichten. Viele Familienmitglieder emigrierten aus Deutschland, doch Wechsler hatte versprochen, sich um seine Eltern und das elterliche Haus zu kümmern. Dann folgten am 10. November 1938 die als „Judenaktion“ angekündigten Überfälle. SA-Trupps zogen durch Vilbel. Sie überfielen die Familie Wechsler gleich zweimal.
Kunz konnte bei seiner Recherche widerlegen, dass Simon Wechsler in die Glasscherben seiner Wasserflaschen geworfen wurde und daran starb. Vielmehr sei er einen Monat später in Frankfurt an Schlagaderverkalkung gestorben.
Das Reich kassierte
Siegfried Wechsler wurde im November 1938 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert, als ehemaliger Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg aber nach 26 Tagen entlassen. Zuhause wurde sein Vermögen konfisziert, er musste 1940 nach Höchst zur Zwangsarbeit. Im Juni 1942 kam die Deportation: Siegfried und Johanna Wechsler wurden in Vernichtungslager nach Majdanek und Sobibor gebracht, weitere Nachweise gibt es nicht. Dafür fand Kunz ein Sparkassen-Dokument. Das Wechslersche Restvermögen von 86,75 Reichsmark werde vom Deutschen Reich eingezogen.(dd)