Die Regierungsmehrheit von CDU und FDP im Bad Vilbeler Stadtparlament ist futsch! Raimo Biere hat sich nach längerer Bedenkzeit dazu entschlossen, der FDP den Rücken zu kehren. Dieser Schritt hat weitreichende Konsequenzen.
Bad Vilbel. Es ist 21.53 Uhr am 16. September 2014. Nach ausufernden Vorab-Debatten kommt es zur finalen Abstimmung über die Straßenbeitragssatzung. Brav gehen bei der CDU alle Hände hoch für das Modell der Einmalzahlung. Doch FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn wird plötzlich nervös. Denn sein Fraktionskollege Raimo Biere hebt die Hand nicht. Hahn starrt Biere an, zieht an seinem Arm – so schildert das jedenfalls Biere. Er bleibt bei seiner Entscheidung und die Straßenbeitragssatzung fällt durch. Später kommt es nach einem Gespräch zwischen Stadtrat Klaus Minkel (CDU), dem ebenfalls an dem einmaligen Modell zweifelnden Jens Völker (CDU) und Biere zu einem Vermittlungsgespräch. Dabei werden niedrigere Raten ins Kalkül gezogen, längere Fristen, in denen Anwohner ihre Beiträge abstottern können. Zweifellos ein Verdienst von Biere. Doch Lob erhält er dafür nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Biere wird nach eigener Aussage immer mehr gemobbt, vor allem von Hahn und dessen Frau Heike Freund-Hahn. Die fordert sogar noch in der Nacht zum 17. September per E-Mail ein Parteiausschlussverfahren. Zur Versöhnung kommt es nicht. Und deswegen zieht Biere jetzt einen Schlussstrich. Mit großen Folgen.
Eine Problemkette
Biere tritt aus der FDP aus und legt somit auch sein Amt als Kreis-Parteivorsitzender nieder. Doch das ist nur der Anfang eines langen Rattenschwanzes. Denn nicht nur die zuvor knappe Mehrheit von einer Stimme im Parlament ist damit futsch. Jörg-Uwe Hahn verliert als einzig verbleibendes Mitglied der FDP im Parlament den Fraktionsstatus. Und somit auch sein Recht, in den Ausschüssen mitzuwirken – in denen alle Themen vor den Parlamentssitzungen ausführlich besprochen werden. Der Sitz der FDP im Haupt- und Finanz-, Bau-, Planungs- und Umwelt- sowie im Sozialausschuss fällt nun den Grünen zu. Und somit verlieren CDU und FDP auch dort die Mehrheiten. Auf Antrag könnten nun sogar die drei CDU-Ausschussvorsitzenden Edwin Lotz (Haupt- und Finanzausschuss), Herbert Anders (Soziales) und Jens Völker (Bau, Planung und Umwelt) dazu aufgefordert werden, ihre Ämter niederzulegen, um einen neuen Vorsitzenden aus den Oppositionsreihen zu wählen.
„Ja, es könnte schon sein, dass einigen Leuten die Kaffeetasse aus der Hand fällt, wenn sie morgen die Zeitung aufschlagen“, ist sich Biere der Dimension seiner Entscheidung durchaus bewusst. Doch sei er seinem Gewissen gefolgt. Und er ziehe damit auch einen Schlussstrich unter die massiven Anfeindungen, die er in den vergangenen Jahren aus den eigenen Reihen erfahren habe.
Es seien sogar „Bestrafungsaktionen“ erfolgt, sagt Biere. So bei zwei Mitgliederversammlungen, in denen Biere mit fragwürdigen Argumentationen nicht in den Vorstand gewählt wurde. „Als Kreisvorsitzender der FDP Wetterau“, macht Biere sein Unverständnis darüber klar. Auch habe Jörg-Uwe Hahn, für Biere ein „typischer Berufspolitiker, der nur am Erhalt seiner Machtstrukturen interessiert ist“, keinerlei Schritte unternommen, um mit Biere über dessen Position zu sprechen. Im Gegenteil habe man von Biere erwartet, dass er nun vor Hahn zu Kreuze krieche.
Doch habe Hahn selbst im Hessischen Landtag dafür gestimmt, dass klamme Kommunen künftig zwingend die Straßenbeitragssatzung anwenden müssten. Dies hätten alle im Landtag vertretenen Parteien ebenfalls abgesegnet. In der FDP sehe Biere deswegen keine Möglichkeit mehr, um auch künftig noch zum Wohle der Bürger im Parlament zu sitzen.
Gewinn für die FW
Die Freien Wähler seien die einzigen gewesen, die sich von Anfang an gegen die Straßenbeitragssatzung zur Wehr gesetzt hätten. Deswegen sehe Biere hier seine neue politische Heimat. FW-Fraktionschef Martin Gecks begrüßte den Neuzugang natürlich allzu gerne. „Wir bekommen hier einen erfahrenen Politiker in die eigenen Reihen. Während wir in unserer ersten Legislaturperiode im Parlament eher zugehört und gelernt haben, können wir ab jetzt aktiver werden und mitgestalten“, frohlockt Gecks. Kein Wunder, sind die Freien Wähler, die überwiegend mit der Mehrheit gestimmt haben, nun das Zünglein an der Waage.
Das sieht auch CDU-Fraktionschefin Irene Utter ein. „Wir werden künftig mehr miteinander reden müssen“, ist sie sich der schwierigen Lage bewusst. Jörg-Uwe Hahn hingegen ist „bestürzt“, zumal Biere noch am Mittwochabend bei einer Koalitionssitzung kein Sterbenswörtchen über seine Absichten geäußert habe. „Das ist kein ehrlicher Stil und eine Verletzung der Vertraulichkeit“, reagierte Hahn auf die Neuigkeiten.