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Ein Tanz am Abgrund – Der sehenswürdigen „Cabaret“-Inszenierung gelingt der Spagat zwischen Unterhaltung und Ernst

Bad Vilbel. „Cabaret“ ist ein Musical, das Show, berührende Lebensschicksale und politische Botschaft auf einzigartige Weise verbindet. Kann man sich bei so tiefgründigen Themen wie Nationalsozialismus (mit allen bekannten Folgen im Hinterkopf), Abtreibung und anderweitig gescheiterten Einzelschicksalen überhaupt amüsieren? Dass es geht, aber auch sehr schwierig ist, das erlebten die Besucher am Mittwochabend vergangener Woche als in der Vilbeler Burg die Inszenierung von Regisseur Egon Baumgarten Premiere hatte.

Der bedrückende Hintergrund war von Anfang an präsent. Spontaner und unbeschwerter Beifall fiel daher schwer. Dies war vor allem bei den Szenen der Fall, in denen klar wird, wie die Ressentiments der Nazi-Bewegung selbst bei dem als „normal“ geltenden Freundeskreis und in der Nachbarschaft der Pensionswirtin Fräulein Schneider mehrheitsfähig geworden waren. Als der Applaus dann doch einsetzte, war klar, dass er allein der darstellerischen Leistung des Ensembles galt.

Uneingeschränktes Lob hat sich das Orchester unter Leitung von Thomas Lorey verdient. Die vom Ragtime und frühen Jazz inspirierten Stücke von Komponist John Kander spielen sie ebenso brillant wie Charleston-Rhythmen und später die zackigen Märsche und die Weisen der völkischen Lieder, mit denen die heraufziehende „neue Zeit“ sich musikalisch Durchbruch verschafft.

Die Geschichte ist auf Silvester 1932 und Neujahr 1933 verdichtet. Der amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw mietet sich durch die Vermittlung des Devisenschmugglers Ernst-Ludwig in der Pension von Fräulein Schneider ein und wird zudem als Gast in den Kit-Kat-Club eingeführt. Cliff ist fasziniert von der grenzenlosen Sucht der Menschen sich zu amüsieren: „In einem Film würde ein Vulkan ausbrechen oder eine Sturmflut kommen und alles untergehen lassen“, ahnt er das Ende.

Die Shows im Club stehen für die Dekadenz und Verruchtheit eines sich atemlos gebenden Amüsierbetriebes, während draußen die Menschen noch von den Folgen der Weltwirtschaftskrise arg gebeutelt „die Zeit an den Pfandscheinen“ ihrer versetzten Uhren ablesen, wie es der Club-Conférencier formuliert. Ist dort das Leben oft eine einzige Enttäuschung, so gibt es im Cabaret keine Sorgen: „Das Leben ist wunderschön, die Girls sind wunderschön“, schnarrt der Conférencier und lockt in die Scheinwelt euphorischer Lebensgefühle.

Star im Berliner Tingeltangel-Milieu ist „Londons Liebling“ Sally Bowles. „In dieses himmlische Girl“ verliebt sich Cliff umgehend. Auch sie ist von dem „einmalig herrlichen Mann“ derart angetan, dass sie sich vorstellen kann, ihr aufregendes Showbiz-Leben aufzugeben und „eine Lady, die geliebt wird“ werden möchte.

In einer zweiten Handlungslinie wird erzählt, wie die Pensionswirtin Fräulein Schneider und der jüdische Obsthändler – „Sevilla-Orangen: Delikat“ – als älteres Liebespaar zögernd und staunend zueinanderfinden und dann durch die Zwänge der „neuen Zeit“ wieder getrennt werden.

Die Bad Villber Cabaret-Inszenierung lebt vor allem von Mathias Paganis facettenreich verkörperten Conférencier. Er ist eine gebrochene Figur – ehemaliger Operetten-Buffo, dann Knieschuss im Krieg, Karriere am Arsch –, der alle Szenen doppelt und sich damit hinterfragend direkt an das Publikum wendet. Britta Balzers Sally nimmt man teilweise die Femme fatale nicht so ganz ab, die sie im Kit-Kat- Club gibt, sie wirkt etwas zu brav. Am Ende spielt sie überzeugend die Frau, die weiß, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hat. Alen Hodzovic wandelt sich als Cliff vom zunächst etwas einfältigen Charmebolzen zu einem politisch bewusst werdenden Beobachter und Anti-Nazi.

Mit kleinen aber feinen Gesten wissen Marina Edelhagen und Michael Hiller dem Paar Schneider-Schultz Konturen zu geben, wobei etwas Operettenzauber von der Bühne weht. Sissy Staudinger hält als Fräulein Kost den deutschen Matrosenjungs mit „vaterländischer Pflicht“ die Stange und singt voller Inbrunst von den auf der Wiese grasenden Hirschen, mit denen die drohende Nazi-Verheißung „Der morgige Tag ist mein“ beginnt. Thomas Schweins spielt den Ernst-Ludwig erst harmlos kumpelig, bevor er ihn als kompromisslosen Nazi offenbart.

Als im Schlussbild Sally trotzig ihr „auch wenn die Welt in Scherben fällt, ich liebe das Cabaret“ singen will, schafft sie die letzte Silbe nicht mehr und bringt es nur bis zum „Ca-ba-“. Der Conférencier haucht noch „Gute Nacht“, das Licht geht aus und das Publikum verharrt für einige Momente in betroffener Stille, bevor der Schlussapplaus einsetzt.

Die nächsten „Cabaret“-Vorstellungen stehen am Samstag, 20. Juni, 20.15 Uhr und am Sonntag, 21. Juni, 18.15 Uhr auf dem Spielplan der Burgfestspiele. Kompletter Spielplan im Internet unter www.kultur-bad-vilbel.de, telefonische Kartenreservierung unter Rufnummer (06101) 559455.