CDU und FDP büßen massiv Stimmen ein, und auch die Grünen schneiden größtenteils schlechter ab als bei der letzten Europawahl 2009. Doch sie haben noch mehr gemeinsam: Die Alternative für Deutschland (AfD) ist das erklärte neue Feindbild – und der große Wahlsieger neben der SPD.
Bad Vilbel. Der Sekundenzeiger der Wanduhr im Bürgerbüro bewegt sich langsam auf die zwölf zu. Karl Josef Nölke wartet, bis er gerade nach oben steht, gleicht die Uhrzeit dann mit der Anzeige seiner Armbanduhr ab – und schließt die Tür ab. „Es ist Zeit“, sagt der Wahlleiter des Wahlbezirks 10. „Es ist genau 18 Uhr.“ Schnell entfernen Nölke und die sieben Wahlhelfer den Sichtschutz aus braunen Papier und klappen die Aufbauten an den als Wahlkabinen dienenden Tischen zusammen. Dann heben Ibrahim Çiçek und Niklas Milde die Wahlurne an, die eigentlich eine große Plastiktonne ist, und schütten den Inhalt auf den Tisch.
„Wir sortieren zunächst nach gültigen und ungültigen Stimmen“, erklärt Wahlleiter Nölke. Schimpfwörter und Kurioses seien eher selten, meist machten unzufriedene Wähler ihre Stimmzettel ungültig, indem sie die Parteien durchstrichen oder gleich mehrere ankreuzten. Einer der Helfer hält einen Wahlzettel hoch. „Der hier ist ungültig, da hat jemand ein Blümchen draufgemalt. Ich frage mich, warum solche Leute überhaupt wählen gehen.“ Ibrahim Çiçek widerspricht entschieden: „Hauptsache, sie gehen überhaupt wählen“, findet er.
Gedämpfte Freude
Ähnlich sehen das auch die Parteien. Dabei hätte der eine oder andere sich sicher gewünscht, noch mehr Menschen hätten sich für die eigene Partei entschieden – zum Beispiel die CDU, die in Bad Vilbel 7,9 Prozent an Stimmen einbüßte. Etwas gedämpft war demnach die Freude beim Parteivorsitzenden Tobias Utter, zugleich europapolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. „Die CDU ist zwar die stärkste Kraft, aber dass eine Partei wie die AfD so viele Stimmen kriegt, macht mich nachdenklich“, sagt er.
Eine Abstrafung der Union bei lokalen Themen sieht Tobias Utter im Wahlergebnis nicht. Und auch, dass die frühere CDU-Europaabgeordnete Ursula Braun-Moser, mittlerweile aktiv bei der Alternative für Deutschland, bei ihrem Wechsel einige Stimmen mitgenommen hat, möchte Utter nicht weiter kommentieren. „Das Potenzial der Abwanderung ist bei bürgerlichen Parteien sicherlich größer“, sagt er.
Die SPD legt sowohl auf Kreisebene als auch in Bad Vilbel zu, in Karben erkämpfte sie sich gar den Spitzenplatz als die stärkste politische Kraft zurück. Einen Kommentar dazu gibt Landrat Joachim Arnold (SPD) allerdings nicht ab, sondern er lobt lediglich die gestiegene Wahlbeteiligung. „Erfreulich ist zudem, dass die Europabefürworter deutlich in der Mehrheit sind“, freut er sich in einer schriftlichen Stellungnahme. Persönlich war er an diesem Abend nicht erreichbar.
Die AfD gehört zu den großen Gewinnern, auch im Wetteraukreis. 1126 Wähler entschieden sich in Bad Vilbel für die AfD – und bescherten ihr so ein Ergebnis von 10,0 Prozent, das den Bundesdurchschnitt der noch jungen Partei um drei Prozentpunkte übertrifft. Hat Ursula Braun-Moser, Beisitzerin im AfD-Bundesvorstand, der Union diese Stimmen „geklaut“?
„Die CDU hat im Wahlkampf ganz wenig gemacht“, sagt Braun-Moser. „Wir sind auf dem Weg zu einer etablierten Partei. Wenn andere wenig machen, bleiben für uns mehr Bäume, an die wir unsere Plakate hängen können.“
Marcus Stadler, Vorsitzender der Grünen Wetterau, sagt, er sei schockiert vom Abschneiden der AfD. „Zufrieden ist man nie, wir haben bis zur Kommunalwahl jetzt zwei Jahre Zeit, den Menschen unsere Themen besser näher zu bringen.“
Während die einen feiern, lassen die anderen den Kopf hängen: Die FDP verlor in Bad Vilbel 9,6 Prozent, auf Kreisebene 9,9 Prozent. „Ich bin sehr traurig, es ist ein langer Weg, verlorenes Vertrauen zurückzuholen“, sagt Jörg-Uwe Hahn, Vilbeler FDP-Politiker und Ex-Europaminister. Allerdings freut er sich über das Ergebnis von 5,5 Prozent in Bad Vilbel: „Das macht mich stolz!“
Diffuse Angst
Zufrieden mit ihrem regionalen Ergebnis ist die Wetterauer Linken-Vorsitzende Gabi Faulhaber aus Karben. „Das ist ganz okay.“ Getrübt werde das Plus aber vom starken Abschneiden der rechten AfD. „Da spielt die diffuse Angst davor eine Rolle, dass keiner so genau weiß, wohin sich Europa entwickelt.“ Deshalb müsse die Politik auf dem Kontinent und in der Wetterau dringend sozialer werden – eine Forderung, die die Bürger darin zum Ausdruck brächten, dass das gesamte linke Lager mit Linke, SPD und Grüne zugelegt habe. „Wenn man den sozialen Gedanken weiter verbreitet, wird auch das Problem mit der Angst der Menschen vor Europa gelöst werden.“