Bad Vilbel. Große Begeisterung in der Burg. Überschwenglich gefeiert wurde die Premiere des Musicals „Jesus Christ Superstar“. Die Flower-Power- und „Make Love – Not War“-Stimmung der Jesus People und der Hippies von vor rund vierzig Jahren prägte das Aufbruchsgefühl der damaligen allgemeinen Gemütslage. Daran ließen sich die Besucher gerne erinnern und die älteren schwelgten wohl etwas in melancholischer Nostalgie, ob der vielen bekannten Melodien und Songs. Schnell gab es den ersten Szenenapplaus, dem viele weitere folgten sowie am Ende lang anhaltende Ovationen für das überzeugende Ensemble und den Stab um Regisseur Egon Baumgarten.
Typisch für dessen Inszenierungen ist auch hierbei wieder das Fehlen von überbordender Opulenz der Kostüme und pompös aufgeladene Szenen. Wie bei seiner Vilbeler Evita-Inszenierung will er das Publikum nicht überwältigen, in dem über die Pracht der Bilder und Klänge die Handlung zur Nebensache wird. Damit liegt Baumgarten auf der Linie von Erfolgskomponist Andrew Lloyd-Webber, der die Handlung einmal als „das Rückgrat eines jeden Musicals“ bezeichnete und der die zwar unerhört erfolgreiche Broadway-Show des „Jesus Christ Superstar“ wegen ihrer Effekthascherei nicht besonders mochte.
Erzählt werden die letzten Tage des Jesus von Nazareth, wobei dem Judas Ischariot eine der Titelfigur gleichwertige Bedeutung zugemessen wird. Ohne seinen Verrat keine Kreuzigung und ohne Kreuzigung verliert der christliche Erlösungsglaube seine Logik. So ist es auch Judas, den Baumgarten in der großen Szene vor der Kreuzigung mit der Dornenkrone auf dem Kopf erscheinen lässt, die er dann abnimmt und sie Jesus aufs Haupt drückt.
Wie die anderen Anhänger Jesu‘ hat sich Judas von ihm die Befreiung der Juden von der römischen Herrschaft sowie die damit verbundene Illusion von der Beseitigung von Armut und anderen gesellschaftlichen Missständen erhofft. Er beschuldigt ihn, dieses Ziel aus den Augen verloren zu haben und sich in Maria Magdalena verliebt zu haben. Judas verrät Jesu nicht um der Silberlinge wegen, sondern in der Hoffnung, ihn zum Handeln zu zwingen und sich als Messias zu offenbaren. Aber gerade erst durch diesen „Verrat“ wird Jesus zum „Superstar“ werden.
Weil Baumgartens Inszenierung die Rock-Oper Lloyd-Webbers größtenteils ohne mythische und übernatürliche Gesichtspunkte zeigt, wirkt sie als eine zeitlose Geschichte über Aufbegehren, Massenhysterie, Freundschaft, Zweifel, Enttäuschung und Hoffnung. So ist der von dem souveränen Matthias Pagani dargestellte Jesus auch keineswegs ein vergeistigt leidender und sein Schicksal hoffnungsfroh auf sich nehmender Überirdischer. Er ist ein an sich und dem Verhalten der anderen zweifelnder Mensch. In der eindringlichen Schlussszene verschwindet er nach der Kreuzigung auch nicht durch irgendwelche Theatertricks, sonder geht langsam und ruhig durch den Gang der beiden Zuschauertribünen ab.
Als Judas ist Brady Swenson gesanglich und darstellerisch Pagani ebenbürtig und bewältigt seinen viel schwieriger zu singende Parts bravourös. Maria Magdalena, die nicht in der Lage ist Jesus ihre Liebe zu gestehen, wird von Nadine Hammer ohne Schmelz als eine über sich selbst in Verwunderung geratene Frau interpretiert.
Tom Tucker ist ein düsterer Kaiphas und Michael Kargus gibt dessen Hohepriester-Kollegen Annas als diabolischen Taktierer. Steffen Laube ist ein ebenfalls zweifelnder Pilatus, Andreas Wolfram ein schräger Herodes und auch Oliver Utecht als Petrus und Daniel Pabst als Simon passen sich den guten Leistungen des Ensembles an. Besonders hervorzuheben ist die Leistung der Chor Vil-belCanto, der als „Hosianna“ singende Anhängerschaft Jesu wie als fanatisierender Mob beim „Kreuzige Ihn“ mit großem Einsatz bei der Sache ist.
Der musikalische Leiter Thomas Lorey hat Lloyd-Webbers Musik für die unter der Bühne sitzende siebenköpfige Band effektvoll arrangiert. Zum Erfolg der Inszenierung trägt auch wesentlich das von Thomas Pekny als Bühnenbild konzipierte Amphitheater bei, mit Ebenen wo die Handlungs- und die von Angela Hercules-Joseph choreografierten Tanzszenen optimal ihre Wirkung entfalten können.