Vor gesundheitlichen Gefahren von Smartphones, Internet und Computerspielen für Heranwachsende warnte der Ulmer Psychiater und Bestseller-Autor Manfred Spitzer. PCs an Schulen nennt er „Verdummungskampagne“.
Bad Vilbel. Während beim gerade mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichneten Feridan Zaimoglu zwei Dutzend Zuhörer in die Stadtbücherei kamen, wollten die Schlangen für den Sachbuchautor Manfred Spitzer nicht enden. Bei 200 war Schluss mit Einlass, entschied Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann. So einen Andrang habe es bisher nur bei Hannelore Elsner und dem Historiker Herfried Münkler gegeben. Vor der Lesung aus seinem gerade erschienenen Buch „Cyberkrank“ gab Spitzer dem NDR noch ein Fernsehinterview.
Eine klassische Lesung hielt Spitzer nicht, sondern einen sehr dynamischen, von Empörung erfüllten Vortrag, den er mit Projektionsbildern von Studien, Artikeln und Infomaterial füllte. Gleich eingangs legte er die Blickrichtung fest.
Mit dem Tod bedroht
Als Professor sei er nicht gegen das Internet, „das ist ein Werkzeug, aber nichts, um damit die Freizeit zu verbringen“. Als streitbarer Geist erwies er sich schon mit seinem vor zwei Jahren erschienenen Werk . Daraufhin habe man ihm eine Million Euro Forschungsgelder gestrichen, sogar Todesdrohungen habe er erhalten. Nun legt Spitzer nach. 700 Studien über die gesundheitlichen Folgen von Smartphone- und Internetnutzung auf Kinder und Jugendliche habe er für sein Buch ausgewertet. Einen Teil davon präsentiert er mit der Geste des wissenschaftlich geerdeten Mahners.
Smartphones haben sich in Windeseile um den Globus verbreitet, 1,2 Milliarden wurden 2014 verkauft. Ihn sorge vor allem die Auswirkung auf sich noch entwickelnde Gehirne – „Ihres ist ja schon fertig“, so eine seiner pointierten, angriffslustigen Formulierungen. Das fange schon bei den Kleinsten an. Begreifen sei mehr als über eine Glasoberfläche wischen. Ein elf Monate altes Baby, so eine Studie, versuche das bildlich Gesehene nachzuahmen, ob das Spielzeugauto wirklich in der Luft schwebe oder falle. „Wir brauchen die Realität.“ Stattdessen, so zeigt er, gebe es schon Babystühle mit eingebautem Monitor.
Das blaue Licht der Bildschirme verschiebe zudem auch die innere Uhr, weil es Tageslicht simuliere. In England habe man an 83 000 Schülern und Schülerinnen die Wirkungen eines Smartphone-Verbotes untersucht. Das verblüffende Ergebnis: die Noten der Schüler haben sich verbessert, überraschenderweise sogar „je schwächer sie waren, desto besser“ wurden sie. Eine weitere Studie mit US-Oberstufenschülern habe ergeben, die dauernde Nutzung sozialer Medien mache schlechtere Noten, ängstlicher und somit unzufriedener. Ständig auf Facebook fixierte Nutzer seien „depressiver als vorher“.
Daher sein Verdikt: „Computer an Schulen sind eine Verdummungskampagne!“ Rege Internetnutzung gehe, so Spitzer, einher mit höherem Puls und Blutdruck. Wer das mit 15 habe, dem blieben 60 Jahre Zeit, um gesundheitliche Komplikationen zu entwickeln. „Das können Sie in Tote umrechnen“, so Spitzer provokant. Auch Multitasking, zwei Bedeutungsstränge gleichzeitig beachten, sei unmöglich. Multitasker lernten schlechter, hätten Aufmerksamkeitsstörungen. Die Einstellung, man müsse nichts mehr lernen, könne es ja googeln, sei falsch. „Ohne Vorwissen nützt Google nichts. Wer ,Kopfweh‘ eintippt, landet bei Hirntumor.“ Wahrheit und größter Blödsinn stünden im Internet nebeneinander.
Schlechte Noten
Doch nicht das Tippen, sondern Schreiben vertiefe das Lernen, die Pausen aktivierten das Denken. Doch in den USA habe man jetzt in 46 Bundesstaaten die Handschrift aus den Grundschulen verbannt. Spitzer hält gegen: Lernen habe mit Anstrengung zu tun. Es gebe auch keinen Hilfsmotor für Heimtrainer.
Eine Studie widmete sich Computerspielen, der Playstation. Spitzer fasst den Versuch mit Erst- bis Drittklässlern so zusammen: „Da verschenken Sie schlechte Noten und Schulprobleme!“ Alles andere sei Werbung. Dennoch heiße es in einer Broschüre des nordrhein-westfälischen Familienministeriums, Computerspiele förderten Schlüsselqualifikationen. Vage werde von „Unterschieden in ihrer Medienkompetenz“ gesprochen. Spitzer kontert: Man fördere bei Kindern ja auch nicht die Alkoholkompetenz.
Manfred Spitzer, Jahrgang 1958, war von 1990 bis 1997 Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Seit 1997 hat er den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm inne, leitet die Psychiatrische Universitätsklinik Ulm. 2004 gründete er das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen an der Uni Ulm.