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Die Erosion des Bürgerlichen – Prof. Dr. Heinz Riesenhuber referierte kenntnisreich über die SPD und die politische Gegenwart

Bad Vilbel. Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, ausgebildeter Naturwissenschaftler, Christdemokrat und Ex-Bundesminister für Forschung und Technologie, ist seit Jahren Verfechter einer „Politik mit Sinn und Verstand“. Das tut er nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern mit dem Florett. Eine halbstündige Stichprobe seiner Scharfsicht, seiner rhetorischen Brillanz und seiner klaren Argumentationstruktur gab der Analytiker am Montagabend, bei der traditionellen Freundschaftsbegegnung zwischen Rotariern und Lions im City-Hotel.

Nach Begrüßung der Gäste durch Rotary-Präsident Dr. Maximilian Kittner als Gastgeber hatte Heinz Riesenhuber das Wort. „Was bedeutet die Linksbewegung der SPD für die bürgerliche Mitte“ lautete die thematische Vorgabe seitens der Organisatoren des vortrefflichen Abends, Magda Klug und Herbert Klug. Und Riesenhuber lieferte in freier Rede ein eloquentes Bild der aktuellen Zustände ab, schilderte eindringlich die Verlagerungen im Parteigefüge, beleuchtete die Ursachen und warnte nachhaltig vor der irreparablen Beschädigung der bürgerlichen Mitte, Rückgrat unserer Gesellschaft. „Die Idee des Bürgerlichen ist heute durchaus in Gefahr“ und skizzierte in scharfen Konturen, was darunter zu verstehen ist. Selbstverantwortung, Mitverantwortung sowie selbst gestalten drifte langsam aber sicher den Jordan runter.

Am Beispiel der SPD zeigte er auf, wie sich Politik als Aklamationsgemeinschaft organisiert und sich eine Traditionspartei aus der Verantwortung für die bürgerliche Mitte verabschiedet. Die Geburt der Linkspartei ist eine Herausforderung, auf die die SPD reagiert habe, indem sie die Linke als Konkurrenz aufgenommen hat und deren Forderungen hinterher läuft. „Das hört aber an den Parteigrenzen nicht auf, das ist ein Sog“, gab Riesenhuber zu bedenken. Die SPD hatte klassischerweise einen starken Kern in der Facharbeiterschaft, die sich durchaus als bürgerlich empfunden habe, so Riesenhuber. „An dieser Klientel ist die SPD heute nicht mehr interessiert. Und auch die klassische Arbeiterschaft erkenne sich in dem, was die SPD macht, nicht wieder“.

Solche Verwerfungen führen zu Verschiebungen innerhalb der Partei. Die von den Gewerkschaften errungene Tarifvertragsfreiheit – „Ein stolzes Recht!“ – werde unterminiert, Mindestlöhne rücken in den Vordergrund, die Transferleistungen steigen und steigen, der Staat greift ein – „eine gefährliche Option“, erklärt Riesenhuber, eine „langsame Erodierung der bürgerlichen Welt“.

Bürgerliche Politik, das zeigte Riesenhuber tiefschürfend an einer Reihe von Stichworten (Familiengeld, Bildungssystem, Transferleistungen, „Herdprämie“) brauche den Staatsbürger, der seine Freiheit zur Verantwortung lebt, nicht den Staatskunden, der sich in der Unselbständigkeit einrichtet und seine Chancen versäumt.

Gefährlich sei aber auch, dass Durchschnittsverdiener schon bedenklich nahe am Spitzensteuersatz dran seien, kritisierte er auch mit Blick auf seine eigene Partei. Manches habe man nicht früh genug erkannt, sagte er. Wenn nur fünf Prozent Studenten aus Arbeiterhaushalten stammen, „das hat mich immer geärgert, dann verschwenden wir Potenzial und Zukunft“.

Auch mit der Angst der Mittelschicht vor dem gesellschaftlichen Absturz und mit dem zunehmenden Rückzug der Bürger ins Private befasste sich der Politiker, weckte akribisch nicht nur Nachdenklichkeit, sondern benannte auch die Hebel, die zu bewegen wären. Bessere Bildungschancen für alle, innovative Steuer- und Sozialsysteme, dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigungsaufbau, Leistungsgerechtigkeit und bessere Löhne, Haushaltskonsolidierung, Generationengerechtigkeit, Bürokratismus.

Anders als das Fernsehen, das einen „leidenschaftlichen Kult des Irrelevanten betreibt“, punktierte Riesenhuber auch mal satirisch („Andere Parteien haben kluge Köpfe nötiger als wir, die sind da knapper dran!“) in genaueren Strichen die Säulen, die das Staatsgefüge tragen, und pries die Strategie der vielen kleinen Schritte, die jeder zu leisten habe, wolle man die Gesellschaft voranbringen.

Nicht nur die Große Koalition, die zu wenig Mut für grundlegende Reformen habe, sondern auch die CDU Hessen nahm er aufs Korn: „Die Landtagswahl haben wir vergeigt“, dennoch sei Roland Koch eine verlässliche Größe als Frontmann und Streiter für christdemokratische Werte. „Wir werden den Roland Koch hier in Deutschland noch brauchen!“

Heftiger Beifall belohnte Riesenhuber für seine konzentrierte Analyse. „Ein wunderbarer Vortrag“, schloss Rotary-Präsident Kittner und erntete 100 Prozent Zuspruch. Am Anfang war das politische Wort, danach schritten die Kellner zur Tat, trugen Salate, Schnitzel und Spargel auf.