Hinter den Kulissen der Festspiele: »Shakespeare in Love« fordert die Schneiderinnen heraus
Bad Vilbel. Keulenärmel, schwere Brokatstoffe, exklusive Krägen: Die Schneiderinnen hinter den Kulissen der Bad Vilbeler Burgfestspiele sind mit ganz anderen Aufgaben betraut als in einer gewöhnlichen Änderungsschneiderei. Das Stück »Shakespeare in Love« stellte das Team in dieser Saison vor besondere Herausforderungen.
Vorsichtig zupft Marion Hauer die zarte weiße Spitze aus dem Ärmel. Eine Falte hier, eine Nadel zur Fixierung dort, prüfend tritt die Kostümbildnerin einen Schritt zurück und betrachtet das Werk. »Historische Kostüme sind toll«, schwärmt sie. »Da können wir so richtig in den Stoffen schwelgen.“ Sie tritt wieder einen Schritt an ihr Werk und legt den schweren, goldglänzenden Stoff in die richtige Position. Allein die Spitze, die Ärmel und Kragen ziert, kostet 60 Euro pro Meter, erklärt Hauer. Der aufwendige Kragen, komplett Handarbeit, sei somit mehrere hundert Euro wert.
Es handelt sich um das Kostüm der Königin Elizabeth. Für die Schneiderei ist es das opulenteste Kostüm, auch wenn es, wie die meisten, aus einem Fundus geliehen und »nur« verziert worden ist. Aber: Die Änderungen sind aufwendig, zeitintensiv, sie erfordern Recherche – und bereiten dem Team besondere Freude. Denn das Stück entführt den Zuschauer ins London des 16. Jahrhunderts.
Aus der höfischen Welt
Opulente höfische Welt einerseits und die bunten, durchaus moderner gestalteten Theatertruppen andererseits bringen eine außergewöhnliche Vielzahl von Kostümen mit sich. »Keine Frage: »Shakespeare in Love« ist ein absolutes Kostümstück, es lebt von den historischen Kleidern mit all ihren Details. Das macht eindeutig mehr Spaß, als 25 Hosen am Tag zu kürzen«, erklärt auch Christine Rademacher, die die Schneiderei der Festspiele leitet. Viele Handgriffe muss sich ihr Team für das Theater gezielt aneignen: »Einen so exklusiven Kragen wie jenen der Königin Elizabeth etwa lernt man nicht in der gewöhnlichen Ausbildung«, erklärt Rademacher.
Zur Gestaltung der Kostüme arbeiten die beiden Frauen eng zusammen. Bereits im Februar ist die freiberuflich tätige Kostümbildnerin Hauer nach Bad Vilbel gekommen, um sich unter anderem eng mit Regisseurin Milena Paulovics abzustimmen. Anhand verschiedener Gemälde und Zeitzeugenberichte recherchierte sie in einem ersten Schritt die historische Optik, fertigte erste Zeichnungen an – für die Inszenierung waren es fast 40 Stück, erzählt sie. »Aber genau diese Detailarbeit macht besonders viel Spaß.« Bei ihrer Recherche habe sie wieder etwas besonders Interessantes gelernt, erklärt Hauer: »Die Reichen hatten quasi tatsächlich ihr Hab und Gut auf die Kleidung genäht«, verrät die Kostüm-Expertin, während sie den reichen Perlenschmuck auf dem Kleid feststeckt. »So hatten sie all das Gold, Schmuck, Perlen dabei, falls etwa das Schloss überfallen worden oder abgebrannt wäre.«
Um diese Details nachzustellen, liefen die Nähmaschinen vor der Premierenvorstellung auf Hochtouren: Sechs bis sieben Tage die Woche wurde genäht, gesteckt, verziert, gekürzt oder enger genäht. Rund 80 Prozent der Kostüme in Shakespeare sind mehr oder weniger als Rohlinge ausgeliehen und werden angepasst, die übrigen sind Maßanfertigungen. Bei anderen Stücken sei das Verhältnis bis zu 50 zu 50, erklärt Rademacher.
Später kommen dann die Ankleiderinnen und Gardobierinnen hinzu. Auch sie haben bei »Shakespeare in Love« gut zu tun: Ein so mächtiges Kleid wie das der Königin ist nicht mal »eben so« ausgezogen, weiß Hauer. Vor allem, da Schauspielerin Anette Daugardt insgesamt drei Rollen verkörpert. Da sind beim Kostümwechsel hinter der Bühne Höchstleistungen gefragt.
Rrückwärts abwickeln
Während die Arbeit für Kostümbildnerin Hauer, die auch in den vergangenen Jahren immer wieder bei den Festspielen mitwirkte, mit der Premiere beendet war, ist Rademacher weiter im Einsatz. Sie gehöre zum festen »Inventar« der Festspiele, verrät sie lachend: Einst Hobby-Näherin, kam sie später zu den Burgfestspielen, nähte sie in den ersten Jahren alle Kostüme in Heimarbeit – und professionalisierte sich dann über die Jahre. Heute ist sie während der Saison gemeinsam mit ihren Schneiderinnen da, wenn etwa ein Knopf abfällt oder doch noch etwas enger genäht werden muss.
Und auch nach der Saison ist die Arbeit von Rademacher keinesfalls beendet: Schon während der Arbeiten verraten Farb-Codes an den Kostümen, aus welchem Fundus – es sind insgesamt fünf – sie stammen. Nach der Spielzeit wird alles »rückwärts abgewickelt«: All die opulenten Verzierungen, die angebracht wurden, werden zurückgebaut, die Kostüme gereinigt und zurück in den Fundus gebracht – wo sie dann auf ihren nächsten großen Auftritt warten.
»Shakespeare in Love« wird noch am Donnestag und Freitag, 29. und 30. August, jeweils ab 20.15 Uhr aufgeführt. Es sind noch Plätze frei. Tickets gibt es im Kartenbüro, Klaus-Havenstein-Weg 1, Telefon (06101) 559455.