Karben. Reges Leben herrscht seit einiger Zeit wieder in dem Geschäft mitten im Ort. Ertan Bayram (32) hat die Nahversorgung für die mehr als 1400 Roggauer übernommen.
Ende November sah es ganz anders aus. Am 27. November hatte der Dorfladen unter der Leitung von Meike Gerber zum letzten Mal geöffnet. Zu kaufen gab es dort schon länger nicht mehr so viel.
Als Hikmet Bayram, der mit Ehefrau Songül direkt über dem Laden wohnt, davon Wind bekam, rief er kurzerhand seinen Sohn Ertan in Ilbenstadt an: „Das ist deine Chance!“ Dem seit drei Jahren arbeitslosen, gelernten Einzelhandelskaufmann machte der Vater Mut. Ertan sprang gleich auf die Idee des Vaters an. Dann ging alles schnell: Ertan vereinbarte einen Termin für die Existenzgründungsberatung, schrieb eine Bewerbung an die Stadt um die Pacht des Ladens, erhielt wenige Tage später von Jobkomm die Bewilligung eines Darlehens und von der Stadt den Pachtvertrag. Bayram lieh sich beim Bruder noch einige Euro, kaufte das Inventar, schrubbte, putzte und renovierte mit der gesamten Familie drei Tage lang. So konnten die Roggauer bald wieder mit frischen Brötchen und Kaffee, Tabak und Zeitschriften, Obst, Gemüse und Molkereiprodukten versorgt werden.
Ein wenig müde und erschöpft, aber sehr zufrieden und voller ehrgeiziger Pläne zeigt sich der Vater von drei Kindern wenige Wochen später. Mit seinem Wagen macht er sich meist schon um vier Uhr morgens auf den Weg, fährt zur Frankfurter Großmarkthalle und klappert diverse andere Stationen ab, bis er alles frisch beisammen hat..
Sein tägliches Ziel sei es, zu günstigen Preisen qualitativ hochwertige Ware anzubieten. Auch möchte er sein Angebot mehr an die Nachfrage seiner Kunden anzupassen. Er überlegt, im Sommer sein Getränkeangebot um Kistenware zu erweitern. Zudem möchte er die Brottheke in den hinteren Teil des Ladens verlegen und im vorderen Teil an einer Frischetheke Fleisch, Wurst und Delikatessen verkaufen. Sein Sortiment hat er bereits um einige preisgünstige, türkische Artikel wie Weinblätter und Tee im Zwei-Kilo-Beutel ergänzt. „Das kommt gut an.“
Auch sonst erhält man bei Bayram alles, was ein normaler Lebensmittelladen führt. Dazu Presse-Erzeugnisse, und man kann Pakete via Hermes-Versand verschicken. „Was ich nicht habe, kann ich besorgen“, verspricht Bayram. „Ich habe bis jetzt jedem gebracht, was er haben wollte, von einer Flasche Glühwein bis zum Teppichschaumreiniger.“
Diese Einstellung und die Tatsache, dass der fleißige Marktleiter von 7 bis 19 Uhr geöffnet hat, beschert ihm derzeit bis zu 100 Kunden am Tag. Bayrams Wunsch ist: „Die Roggauer sollen hier alles so bekommen, wie sie es in Karben einkaufen können. Nur dann bleiben sie dem Dorfladen treu“, erklärt der Pächter. Er ist stolz, dass sich der Laden schon nach den ersten Wochen trägt. Alle packen mit an: Vater Hikmet packt das Obst aus, Mutter Songül steht an den Regalen, nachmittags tollen die Kinder auf dem Hof herum. „Wir arbeiten hier, um zu leben – leben und arbeiten, das ist es wohl, worum es geht.“ Ob es sein Traum ist? „Nein, das ist ein Lottogewinn.“Mit Glück bedacht fühlt sich Ertan Bayram aber auch, wenn er nächstes Jahr um diese Zeit die erfolgreiche Bilanz des ersten Jahres seines Ladens ziehen kann.