An die Überfälle auf jüdische Menschen und die Plünderung ihrer Anwesen sowie der Synagoge während der Novemberpogrome vor 79 Jahren erinnerte eine Gedenkstunde der Stadt und der jüdischen Gemeinde am vergangenen Freitag.
Bad Viblel. Es ist ein denkwürdiger Ort des Erinnerns, an dem Vertreter der jüdischen Gemeinde, der Stadt und der Parteien Bad Vilbels sich an den 10. November 1938 erinnern, als auch im damaligen Vilbel Horden von Bürgern auf Juden und ihr Eigentum losgingen – und andere Mitbürger tatenlos zusahen. Der im November 1999 aufgestellte Gedenkstein vor dem Alten Rathaus steht „an der zentralsten und geschichtsträchtigsten Stelle der Stadt“, betont Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU).
Er solle „uns ermutigen, uns zueinander zu bekennen und Ausgrenzungen jeder Art entgegenzuwirken“. Der Ort sei auch eine Mahnung an die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik. Denkwürdig auch, eine Gedenkfeier inmitten des laut rauschenden Verkehrsstroms abzuhalten – ein Kontrast, der die Anwesenden umso intensiver anregt, sich auf die Worte, Lieder und den Bruch zwischen dem Alltag und dem Schrecken der Erinnerung zu konzentrieren.
Schild der Erinnerung
Stöhr erinnert an das jüdische Bürgertum, 1932 waren es 80 von damals 4500 Vilbeler Einwohnern, deren 200-jährige Geschichte in nur fünf Jahren von 1933 bis 1938 endete. Zu den Stolpersteinen für die umgekommenen und vertriebenen Juden soll „in Kürze“ auch das lange versprochene Hinweisschild an das Refugium der letzten Vilbeler Juden am Wasserweg kommen, verspricht Stöhr. Der Text werde gerade noch überarbeitet.
Stöhr lobt auch das Engagement von Schülern des Georg-Büchner-Gymnasiums, die sich erneut um die Pflege der Stolpersteine kümmern – und er weist auf den neuen Band der Bad Vilbeler Heimatblätter hin, die sich dem Schicksal des später ermordeten jüdischen Brunnenbesitzers Siegfried Wechsler widmen.
„Die Menschen wollen Unangenehmes vergessen“, sagt Vered Zur-Panzer, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel. Sie erinnert daran, wie drei Horden von Nazis und ein unorganisierter Mob damals durch Vilbel zogen, die Synagoge verwüsteten.
Nur die enge Nachbarschaft zu „arischen“ Wohnhäusern verhinderte die Brandschatzung. Jüdische Bürger wurden aus den geplünderten Häusern getrieben, Männer nach Frankfurt gejagt, wo sie verhaftet und gequält wurden. „Polizei und Bevölkerung schauten tatenlos zu.“
Kritik an Israelkritik
Zur-Panzer mahnt: „Wer sich an die Erinnerung nicht erinnern kann und sich diese nicht ins Gedächtnis ruft, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Sie betont: „Der antiisraelische Antisemitismus, der vor allem von Linken, von Kirchenleuten oder aus der gebildeten Mitte der Gesellschaft kommt“, sei heute schon normal.
Nach den Vorträgen sprach Rabbiner Shlomo Raskin (Frankfurt) das Kaddisch (Totengebet) für die Opfer.
Die „Shalom Singers“, der Chor der jüdischen Gemeinde Frankfurt, leitete trotzt dem Verkehrslärm vor dem Gedenkstein mit bewegenden Liedern der Erinnerung zum Abschluss der Gedenkstunde über. Das erste Stück „Eli, Eli“ („Mein Gott“) sangen auch die Häftlinge in den Konzentrationslagern, erläutert Chorleiter Benjamin Brainman. „Adon Olam“ („Herr der Welt“) ist der Auftakt eines Gebetes. „Mir lebn ejbig“ ist eine in jiddischem Dialekt gesungene Ode an den Überlebenswillen im Glauben an Gott. (dd)