Spannende Einblicke in die Welt eines gehörlosen Menschen ermöglicht Moderatorin Eva Raboldt dem Publikum im Haus der Begegnung. Gast in der Interviewreihe „Vilbeler Einblicke – Menschen mit Geschichte“ war Sascha Nuhn, Hessens einziger gehörloser Kommunalpolitiker, der 2016 für die Grünen ins Stadtparlament gewählt wurde.
Bad Vilbel. In einer Familie von Hörenden ist der gehörlose Sascha Nuhn aufgewachsen. In der Reihe „Vilbeler Einblicke“ verriet der 39-Jährige, dass er die Gebärdensprache erst im Alter von 17 Jahren erlernt hat. Seine Mutter berichtet: „Die Ärzte waren sich zwei Jahre lang sicher, dass er hören kann. Erst eine Ärztin fand heraus, dass er taub ist. „Das Wort ,Geht nicht‘ gibt es nicht für Sascha. Er kann nicht hören, sonst kann er alles“, sagt seine Mutter stolz.
Das sah seine Tochter Stella (6) jedoch nicht so: „Der Papa kann nicht gut basteln“, erhob sie Einspruch. Mit ihrem Vater und Mutter Judith Arnold, die fast nichts hört, kommuniziert Stella, die hört und daher bilingual aufwächst, in Gebärdensprache.
Lizenz zum Springen
Stolz kann Stella aber auf ihren Papa trotz seiner Basteldefizite sein. Er erkundete als Rucksackreisender viele Länder, stellte dabei fest: „In südlichen Ländern ist die Kommunikation mit Händen, Kopfbewegungen und Mimik einfacher als in Deutschland.“
Nuhn besitzt als erster von inzwischen fünf deutschen Gehörlosen eine Fallschirmspringer-Lizenz. „Statt über Funk läuft die Kommunikation mit Hilfe von farbig beklebten Badmintonschlägern, mit denen jemand am Boden Signale gibt“, berichtete er. Hier, wie auch bei der Erlangung einer Lizenz als Rettungstaucher sei es am schwierigsten gewesen, einen Lehrer zur Ausbildung zu finden.
Freunde gefunden
Nuhn dankt seiner Fraktion dafür, dass er in jeder Parlamentssitzung eine Rede halten und sich in den politischen Diskurs einbringen kann. Den Lebensunterhalt für seine Familie verdient Sascha Nuhn als Geschäftsführer eines Dienstleisters. Eigentlich wollte er Automechaniker werden, doch VW winkte nach einem Praktikum wegen der Haftung bei Unfällen ab.
So besucht er nach der Frankfurter Schule für Schwerhörige ein Berufsbildungswerk für Gehörlose in Nürnberg, absolviert dort eine Ausbildung zum Industrieelektroniker. „Das war wie eine Initialzündung für mich. Ich fand viele Freunde, besuchte Theater- und Poesie-Festivals.“
„Wir Gehörlosen fühlen uns nicht behindert, vermissen das Hören, das wir nicht kennen, nicht. Es ist die Gesellschaft, die uns das Leben schwer macht.“ So bekomme er in den USA selbst in Fast-Food-Restaurants Papier und Stift gereicht, damit er sich verständlich machen kann. Für den Kinobesuch wünscht er sich Untertitel.
Nuhn ist im Vorstand des Gehörlosen-Landesverbandes aktiv, wo er für bessere Bedingungen unter anderen für taube Eltern streitet. In Deutschland leben mehr als 1,8 Millionen behinderte Erwachsene mit Kindern zusammen.
In Geschäften tippt Nuhn seine Bestellungen ins Handy ein. In Bad Vilbel kämpft er dafür, dass das neue Schwimmbad für Sehbehinderte, Gehörlose und Mobilitätseingeschränkte zugänglich wird. Er bedauert, dass er die Burgfestspiele nicht besuchen kann. Bei einer über zwei Stunden gehenden Veranstaltung benötigt er zwei Dolmetscher, von denen einer pro Stunde 75 Euro kostet. Fürs Interview im Haus der Begegnung finanzierte die Selbsthilfekontaktstelle den Dolmetscher über eine Stiftung.
Am Montag, 22. Mai, ist ab 19.30 Uhr Interviewgast von Eva Raboldt im HdB Schulleiter Peter Mayböhm von der John-F.-Kennedy-Schule, der im Sommer in Ruhestand geht.