Es gibt Begriffe, Ausdrücke, Redensarten, die sind kontaminiert. Sie wurden in ihrer Bedeutung korrumpiert und für ideologische Zwecke missbraucht. Da hilft nur eines: sie müssen für eine Zeit in Quarantäne oder auch für immer aus dem aktiven Wortschatz verbannt werden. In früheren Zeiten konnten Zünfte, Volksbildungsvereine mit Aussagen wie „Wissen ist Macht“, „Arbeit macht frei“ oder „Jedem das Seine“ Menschen gewinnen. Dass zumindest zwei dieser Aussagen zu der Kategorie „kontaminiert“ gehören, dürfte klar sein.
Schwieriger wird es, wenn in der Gebrauchslyrik, in Liedern etwa, kontaminierte Ausdrücke vorkommen. Dann ist die Quarantäne die einzige Alternative. So wurde ein aus Großmutters Jugendzeiten beliebtes geistliches Lied von Cornelius Friedrich Adolf Krummacher vor fünfundsechzig Jahren aus dem Repertoire verbannt, hieß es dort doch: „Stern, auf den ich schaue, Fels, auf den ich steh, Führer, dem ich traue, Stab, an dem ich geh, Brot, von dem ich lebe, Quell, an dem ich ruh, Ziel, das ich erstrebe, alles, Herr, bist du.“ Als dann vor zwanzig Jahren ein neues evangelisches Gesangbuch (EG) herausgegeben wurde, fand das Lied wieder Aufnahme. Ich musste an dieses Lied denken, als ich den Wochenspruch für den kommenden Sonntag las, der gewissermaßen dessen Thema vorgibt. Er lautet: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Joh.5,4)
Da könnte man als Christ vielleicht meinen, entscheidend ist mein Glaube, meine Hoffnung, meine Einstellung zum Mitmenschen, die ich natürlich mit anderen in der Gemeinde der Glaubenden, Hoffenden und Liebenden teile. Irgendwie erinnert das ja auch an ein unter Christen beliebtes Diktum: „Der Weg ist das Ziel.“ Und Martin Luther scheint das ähnlich zu sehen, wenn er an seinen Freund Philipp Melanchthon schreibt: „Also ist dies Leben nicht eine Frömmigkeit, sondern ein fromm werden; nicht eine Gesundheit, sondern ein gesund werden; nicht ein Wesen, sondern ein Werden; nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, aber wir werden’s; es ist noch nicht gethan und geschehn, es ist aber im Gange und Schwange. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.“
Das aus der Quarantäne wiedergekehrte Lied setzt jedoch einen anderen, und wie ich meine, biblischen Akzent: Auf das, was uns trägt und hält kommt es an, auf das Woher (Grund) und Wohin (Ziel) unseres Christseins. So heißt es im zweiten Vers: „Ohne dich, wo käme Kraft und Mut mir her? Ohne dich, wer nähme meine Bürde, wer? Ohne dich, zerstieben würden mir im Nu Glauben, Hoffen, Lieben, alles, Herr, bist du.“
Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir bei allem Einsatz für Glaube, Hoffnung, Liebe uns zu sehr mit uns selbst beschäftigen und außer Acht lassen, dass unser Christsein sich Gott verdankt und auf ihn ausgerichtet bleiben muss. Der Vater des epileptischen Jungen aus dem Markusevangelium wusste das wohl, als er Jesus um Hilfe bat und auf dessen mahnenden Einwand „alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“ zur Antwort gab: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“
Herzlich grüßt Sie
Hans Karl Heinrich,
Ev. Kirchengemeinde Gronau