Veröffentlicht am

Das Wort zum Sonntag: Sich das Leben „erfahren“

Sind Sie mobil? Das heißt soviel wie: Sind Sie bereit und in der Lage, sich zu verändern, unterwegs zu sein, Auto zu fahren, umzuziehen.

Mobilität ist wichtig im Berufsleben, ist Voraussetzung aber auch für eine angemessene Freizeitgestaltung. Vor allem deswegen ist das Auto weit mehr als ein Statussymbol (das auch), es ist die Ermöglichung der heute schlicht vorausgesetzten Mobilität. Mobil zu sein ist so selbstverständlich wie der Umgang mit dem PC und Englisch-Kenntnisse. Und so fahren wir durch die Landschaft – beruflich und privat. Die Jahreskilometer können wir schnell errechnen, die jährlichen Zeiten im Auto sind uns meist unbekannt. Es kommt aber einiges zusammen! Wir erfahren uns unser Leben. Keine Frage – dabei machen wir viele Erfahrungen: Andere Kulturen in der weiten Welt, Menschen in Beruf und Freizeit, völlig selbstverständliche Erfahrungen: schnelle Erfahrungen (so schnell, daß sich unsere Vorfahren zu Tode ängstigen würden!), oft kurz und nicht sehr intensiv.

Für besondere Erfahrungen muß ich mir bewußt Zeit nehmen. Im November machen Menschen dies oft mehr als in anderen Zeiten: Die Natur scheint dazu anzuregen. Das gilt für das Wandern im Herbst. Das gilt auch für die Beschäftigung mit Tod und Trauer. Herbst und Dunkelheit erinnern oft auch an die geistliche Dimension des Lebens und an Gott. Das steht in der Regel nicht ganz oben auf unserer Tagesordnung, andere Erfahrungen drängen sich mehr auf – wie das Wort er-fahren in unserer mobilen Gesellschaft nahelegt. Glaube erfahren, Gott erfahren – das gilt heute mehr denn je auch in der Religion: Glaube lässt sich nicht erlernen, er läßt sich aber erfahren, wenn ich mich auf ihn einlasse. So wie die Wanderer und Radfahrer sich bewußt für andere Erfahrungen entscheiden als unsere schnelle Mobilitätsgesellschaft sie nahelegt, so muß ich mir auch für Erfahrungen von Gott und Glaube Zeit nehmen und die Autobahnen unseres gesellschaftlichen Alltags verlassen: Stille, Gebet, Reflexion des eigenen Lebens und Glaubens, kurz: Bewußtseinserweiterung für die Erfahrung der Begleitung eines lebendigen Gottes!

Ich wünsche Ihnen die Zeit für diese besonderen Erfahrungen! Herzlichst Ihr

Pfarrer Dr. Klaus Neumeier,

Ev. Christuskirche Bad Vilbel