Die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, habe ich zunächst nur als eine Grenzstadt kennengelernt. Der Teil, in dem ich lebte, war ringsum umgeben von einer tödlichen Grenze. Wenn ich sie passierte, musste ich vorbei an massiven Sperranlagen, Wachtürmen, Schlagbäumen und Grenzsoldaten. Meine Freunde im anderen Teil Berlins durften sich dieser Grenze nicht einmal nähern. Ich habe meine Stadt nie anders kennengelernt als in dieser betonierten und militärisch abgesicherten Zerrissenheit. Angesichts des massiven militärischen Aufgebots auf beiden Seiten war ich der festen Überzeugung, jede Veränderung würde angesichts der Waffenstarre nur Schlimmeres bedeuten.
Vor diesem Hintergrund ist es für mich auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Geschenk Gottes, dass es aus dieser Situation eine Veränderung zu einer friedlichen Zukunft in Freiheit gegeben hat. Die Anfänge dieser Wende haben mich tief geprägt. Es waren einzelne Menschen in der DDR, die den Mut aufbrachten, aktiv zu werden. Sie waren nicht nur unzufrieden, sondern wurden aktiv für eine bessere Zukunft. Sie sammelten sich in den Kirchen zu Friedensgebeten, in Umweltgruppen und zu manch anderen Aktivitäten. Diese Gebetstreffen waren begleitet von massiven Polizeiaufgeboten. Nach den Gebeten verließen diese Menschen die Kirchenräume und gingen auf die Straße. Sie demonstrierten für Veränderungen. Solch ein Schritt war damals eine Eintrittskarte in ein Stasi-Gefängnis. Und dennoch wagten immer mehr diesen Schritt für eine Zukunft in Freiheit.
Wenn ich an diese Tage denke, fällt mir immer der Psalm 31,9 ein: „Gott, du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Gott führt aus der Enge in die Weite. Wider alle menschlichen Erwartungen, entgegen allem Machtgebaren schenkt uns Gott einen weiten Raum zum Leben. An uns ist es, den Mut aufzubringen und den ersten Schritt aus der Enge heraus zu gehen. Am Anfang steht das Gebet zu dem Gott, der uns den Glauben als ein festes Vertrauen in sein Handeln schenkt. Dadurch können wir mit den Füßen einen Raum betreten, der uns heute noch verwehrt wird. Dieses Vertrauen wünsche ich Ihnen, damit Sie mutig Schritte in eine weite Zukunft gehen können, die Gott Ihnen bereithält.
Herzliche Wende-Grüße
Ihr Pastor Clemens Breest
Freie ev. Gemeinde Bad Vilbel