Aufbruch an der Mauer der Michaelis-Kirche: Das soll Barrieren in Köpfen und am Kirchen-Westportal beseitigen.
Karben. Mit ohrenbetäubendem Knattern frisst sich der Bohrer von Matthias Merz ins Mauerwerk des ehemaligen gotischen Westportals der evangelischen St. Michaelis Kirche in Klein-Karben. Gespannt stehen an die 30 Konfirmanden, Vikar Kaarlo Friedrich und Interessierte vor dem immer größer werdenden Loch im Kirchengemäuer, das in Zukunft Menschen mit Behinderung als Zugang zur Kirche dienen soll.
„Damals, in den 1960er Jahren, wurde das Portal einfach zugemauert. Mit Inklusion, der Teilhabe körperlich eingeschränkter Menschen am ganz normalen Leben, hatte man noch nichts am Hut“, erläutert Friedrich. Da das Karbener Kleinod unter Denkmalschutz steht, habe man einen Fachmann herbeigeholt, damit das einstige Portal und das Gebäude bei den Arbeiten keinen Schaden nehmen.
Geröll abfahren
Im Inneren der Kirche ist alles mit Schutzfolie versiegelt. „Insbesondere die Pfeifen der Orgel dürfen keinen Staub abbekommen“, sagt Merz und bohrt weiter ins Gestein. Kleinere und große Brocken fallen zu Boden. Die Konfirmanden stehen mit einer Schubkarre parat, um das Geröll abzufahren. Einiges aus dem Mauerwerk sortieren sie aus und schleppen es dann an einen Tisch im Pfarrgarten, wo sie eine Waage aufgebaut haben. Samt Ursprungs-Zertifikat machen sie die Gesteinsbrocken zu Geld, indem sie diese an Interessenten verkaufen.
Der heutige Auftakt zum Aufbruch ist nur eines der Vorhaben, welche die Konfirmanden unter dem Motto „Wir brechen auf“ in diesem Jahr unter Leitung von Vikar Friedrich umsetzen wollen. Getragen wird die Aktion von der Initiative „Erhalten und gestalten St. Michaelis“. Rund 60 000 Euro sollen in die Sanierung der Emporen-Stützen fließen sowie den Verputz des Kirchensockels und in die Kirchgartengestaltung.
40 000 Euro zahlt die Landeskirche, 20 000 Euro müssen über Spenden zusammen kommen – wie etwa dem Erlös aus dem Verkauf der Steine. Das Mauerwerk im Westportal der Kirche fällt, damit in Zukunft auch beispielsweise Rollstuhlfahrer ebenerdig in die Kirche gelangen können. Vier Rollstuhlfahrerinnen aus dem benachbarten Johanniter-Stift in Klein-Karben sind gekommen, um beim Aufbruch für einen Barriere freien Zugang zum Gotteshaus zuzusehen. Brigitte Stroh, Gemeindemitglied, die sich schon seit Jahren für einen behindertengerechten Zugang einsetzt, sagt beim Anblick des Durchbruchs im Portal: „Das ist ein großartiger Tag!“ Wie oft haben sie und andere Klein-Karbener Klaus Genserowski, einem großen Musikliebhaber und Rollstuhlfahrer, der inzwischen verstorben ist, geholfen zu den Konzerten von Musik in der Kirche in das Gotteshaus zu gelangen. „Das war nicht einfach und für alle Beteiligten auch nicht ungefährlich“, erinnert sich Ehefrau Mieke.
Mit Konfirmanden
Vikar Friedrich freut sich über den Zuspruch für diesen ersten Teil des Projekts, das er mit den Konfirmanden erarbeitet hat. „Die Steine lassen sich einfach beseitigen“, sagt er nachdenklich. „Jetzt wird es spannend zu sehen, ob sich auch in den Köpfen der Menschen die Barrieren so leicht beseitigen lassen.“ Doris Landvoigt, Gerontologin beim Johanniter-Stift ist zuversichtlich: „Wir freuen uns schon sehr auf Mai. Denn dann beginnt der Konfirmanden-Rollstuhlfahrer-Hol- und Bring-Service für unsere Gottesdienstbesucher.“