Bad Vilbel. Vor dem Bad Vilbeler Rathaus weht seit Samstag eine bunte Flagge, die an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert. Doch geht es um mehr als einen bloßen historischen Rückblick. Bad Vilbel und weitere Wetterauer Kommunen stellen sich mit der Aktion gegen Antisemitismus und machen klar: Das Judentum gehört zu Deutschland.
Im Jahr 321 hatte Kaiser Konstantin ein Edikt erlassen, das die Berufung von Juden in den Stadtrat gestattete. Das Edikt ist die früheste erhaltene schriftliche Quelle zur Existenz von jüdischen Gemeinden nördlich der Alpen. So viel zur bloßen Historie. Was vielen Juden und ihren Gemeinden im Laufe der Geschichte von anderen Gruppen angetan wurde, ist bekannt. »Wir tun gut daran, solche Zeichen zu setzen«, sagte Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) vor der Gruppe Menschen, die sich am Samstagmorgen vor dem Vilbeler Rathaus in Dortelweil versammelt hat. Besonders begrüßte er Landrat Jan Weckler, Britta Weber von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Wetterau und Vered Zur-Panzer von der Jüdischen Gemeinde Bad Vilbel.«
Breite Unterstützung für Flaggen-Aktion
Es solle nicht der Tag langer Reden sein, meint Stöhr. Heute gehe es vor allem um das gesetzte Zeichen. »Leider mussten viele Veranstaltungen zu diesem besonderen Jubiläum in ganz Deutschland wegen der Pandemie abgesagt werden. Aber in der Wetterau zeigen heute viele Kommunen Flagge.«
Britta Weber hat mit ihrem Verein die Flaggen-Aktion angestoßen: »Ich freue mich sehr über die breite Unterstützung. So können wir kreisweit zeigen, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehört. Weber hatte im Vorfeld die Städte in der Wetterau angeschrieben und um Teilnahme gebeten. In der Wetterau hat es schon immer sehr viele jüdische Gemeinden gegeben. Sogar in den kleinsten Ortschaften, wenn an viele heute auch nur noch Gedenktafeln erinnern. Aber die Wetterau hat eine große jüdische Tradition.«
In Yad Vashem nahe Jerusalem gebe es das Tal der Gemeinden, führte Weber aus. Dort befinden sich auf Wänden die Namen von über 5000 Gemeinden, die im Holocaust zerstört wurden oder diesen nur knapp überstanden. »Dort ist festzustellen, dass auch viele Wetterauer Gemeinden auf den Wänden eingraviert sind«, weiß die Vereinsvorsitzende. Zudem verfüge die Kreisstadt Friedberg über eine Mikwe, die als die größte vollständig erhaltene mittelalterliche Mikwe Deutschlands gilt.
Geschichte der Vilbeler Juden
Landrat Jan Weckler (CDU) sieht das Zeichen, das insgesamt 16 Wetterauer Kommunen und der Kreis an diesem Samstag setzen auch als Aufgabe an: »Wir müssen Antisemitismus und Antiisraelismus etwas entgegensetzen«, sagt er.
Die Geschichte der Bad Vilbeler Juden wurde gegen Ende des vergangenen Jahrtausends aufwendig aufgearbeitet. Der Verein für Geschichte und Heimatpflege hat gemeinsam mit der Historikerin Berta Ritscher 1998 die Dokumentation »Geschichte der Bad Vilbeler Juden. Von der Integration zur Deportation« veröffentlicht. Demnach lebten etwa seit der Jahrhundertwende 1700 Juden in Bad Vilbel. 1845 wurde der Jüdische Friedhof im Gronauer Weg angelegt.
Der 2015 verstorbene Rafael Zur hatte in Bad Vilbel unter anderem für die Aufstellung mehrerer Gedenksteine gesorgt und die von den Nazis fortgetragenen Grabsteine aufgespürt und auf den Friedhof zurückgebracht. Die Synagoge im Hinterhof der Frankfurter Straße 95 wurde während der Novemberpogrome 1938 von einem Mob verwüstet. Heute befindet sich das Gebäude in Privatbesitz.
Ausstellung dokumentiert jüdische Ritualbäder
Zum Jubiläumsjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« 2021 präsentiert das Wetterau-Museum die Ausstellung »Ganz rein!« mit Fotografien von Peter Seidel. In aufwendigen Architekturstudien zeigt der Frankfurter Fotograf die Vielfalt der Bauformen jüdischer Ritualbäder in Europa, darunter die mittelalterliche Friedberger Mikwe. Die Fotos sind noch bis zum 9. Januar zu sehen. Das Wetterau-Museum öffnet dienstags bis freitags von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr, samstags 14 bis 17 Uhr, sonntags 10 bis 17 Uhr.