Dass der Stoff eines Bestsellerromans und einer aufwendigen Verfilmung für eine Bühnenbearbeitung nicht nur Irrungen und Wirrungen, Intrigen und Enthüllungen, Mord und Totschlag, Liebe und Schmerz, sondern auch eine gehörige Portion zum ernsthafen Nachdenken bieten kann, beweist „Die Päpstin“ in der Inszenierung von Adelheid Müther.
Auf der Bühne war zunächst lediglich eine gut 5 mal 5 Meter messende Leinwand zu sehen mit einem Kreuz-Bild des katalanischen Künstlers Antoni Tàpies. Dann erklingen archaisch anmutende Klänge, das Ensemble tritt auf singt mit kraftvollem Chorgesang ein Lied in fremder Sprache.
An der Burgmauer wird ein rotes Transparent aufgestellt. An dessen rechten Rand läuft ein auf den ersten Blick engelartig scheinendes Wesen aus dem Bild. Der sichtbare Flügel ist jedoch nicht in einem harmonischen Halbrund gehalten, sondern hat beängstigend wirkende zackige Spitzen. Und unter dem Saum der Kutte ragen statt Füße kräftige Raubvogel-Krallen hervor.
Deutliche Anzeichen, dass bei der Inszenierung nicht einfach nur eine Geschichte aus der Vergangenheit erzählt wird, sondern gegensätzliche Weltauffassungen über Himmel und Erde sowie das Leben der Menschen aufeinanderprallen. Grundsätzliche Konflikte, die tradiert werden durch zeitlose Mythen und Legenden, wie eben auch der Legende von einer Frau auf dem päpstlichen Thron.
Auch wenn die Geschichte der „Päpstin“ nicht auf einem historisch belegten Fall beruht, so gibt es doch eine ganze Reihe von Überlieferungen zu Frauen, die in Männerkleidern schlüpfen, um Dinge zu tun, die ihnen gesellschaftlich verwehrt waren. Als Wunsch- oder Gegenbild zur männlichen Dominanz überlebte so auch der Mythos einer Päpstin, die heilsameren Einfluss auf das Weltgeschehen hätte ausüben können, als es die Männer auf dem Stuhl Petri zustande brachten.
Ausgangspunkt der im Frühmittelalter spielenden Handlung ist der feste Wille eines jungen Mädchens, lesen und schreiben zu lernen und Bildung zu erhalten. Eine Anmaßung, die als für das weibliche Geschlecht widernatürlich angesehen wird. Folgerichtig wird Johanna auch von ihrem Vater, einem fanatischen Dorfpfarrer, stets als des Teufels und „widernatürliches Kind“ bezeichnet. Dies vor allem, wenn sie nachfragte, statt seine Handlungen und Entscheidungen einfach zu akzeptieren.
Johannas aus dem heidnischen Sachsen stammende Mutter Gudrun wurde einst vom Vater zum Christentum bekehrt – nicht zuletzt, weil er sie körperlich begehrt. Darunter leidet er, denn: „Durch das Weib kam die Sünde auf die Welt, und durch sie bleibt sie erhalten“. Da bleibt ihm nur das Jammern „Gott vergib mir.“ Von ihrer Mutter bekommt Johanna als Ratschlag mit auf den Weg: „Wenn du je glücklich werden willst, gib dich niemals einem Mann hin.“
Um einmal glückliche Jahre zu erleben, wird sie sich als Mann ausgeben. „Die Maskerade bietet mir alles, was ich will“, sie lebe dadurch eigenverantwortlich im Handeln wie im Denken, wird sie später ihrem Geliebten antworten, als der ihr „ein Leben ohne Maskerade“ und ohne Angst vor einer Entdeckung verspricht.
Wie Johanna gegen die Widerstände, lernen zu können, ankämpft, sich Wissen als Heilkundige aneignen kann, schließlich als Bruder Johannes Anglicus über das Kloster Fulda bis in den Vatikan vordringt und schließlich nicht ganz freiwillig, zum Papst ernannt wird, das wird im Vilbeler Burghof in konzentrierten und flott inszenierten Szenen zum Ausdruck gebracht. Fast alle Darsteller verkörpern überzeugend zwei oder auch bis zu fünf verschiedene Figuren, ohne dass die Übersicht beim Zuschauer verloren geht. Das ist auch den von Ausstatterin Marie-Therese Cramer entworfenen Kostümen zu verdanken.
Es gibt viele witzige, aber auch sehr drastische Szenen, wie den brutalen „Gottesbeweis“, mit dem Johannas Vater eine Hebamme quält. Bei einem Überfall werden Frauen und Kinder abgeschlachtet, ungehorsame Mönche werden ausgepeitscht, Kardinäle gemeuchelt, ein Papst wird vergiftet. Die Intrigen von Johannas Gegenspieler Anastasius („Ich habe gelernt, mich zu verstellen“) und seines Vaters Arsenius sind erfolgreich. Der verzweifelte Ausruf „Das ist kein Glaube, das ist Tyrannenherrschaft“, wird auch weiterhin seine Gültigkeit behalten.
Mit viel Applaus dankt am Schluss das Publikum den Schauspielern und dem Regie-Stab für einen spannenden und unterhaltsamen Abend. Das Ensemble stellte sich als Team vor, das von der Inszenierung überzeugt ist. Hauptdarstellerin Anna Gesewsky stach naturgemäß hervor. Gestisch und mimisch brachte sie die Stimmungslagen ihrer Figur zum Ausdruck, meist bevor sie noch mit Worten den Gang der Handlung voranbrachte. Der Inszenierung sehr zuträglich war auch die Idee der Regisseurin, die Rollen der Johanna und ihres späteren Kontrahenten Anastasius zunächst von Kindern spielen zu lassen. Sehr beachtlich dabei vor allem wie Chiara Bergmann, die sich bei den Vorstellungen mit Sophia Schmied abwechselt, ihre doch häufigen Spiel- und Sprechzeiten bewältigt.
„Die Päpstin“ wird wieder am 21. Juni gezeigt sowie 16 weiteren Vorstellungen bis Ende August.