Bad Vilbel. Es war die perfekte Premiere am Muttertag: Bei strahlendem Sonnenschein und vor ausverkauftem Haus ging »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« über die Freilichtbühne der Quellenstadt.
Die Inszenierung von Regisseurin Kirsten Uttendorf bot in der fantasievollen und flexiblen Ausstattung von Claus Stump alles, was das Kinderherz und ebenso die Erwachsenen erfreut. Eine Bühne auf verschiedenen Ebenen mit zahlreichen geheimnisvollen Türen und Winkeln sowie einer zentralen Drehscheibe, die vielerlei sein konnte: Die berühmte Insel Lummerland mit ihren zwei Bergen und dem Thron des gelangweilten König Alfons des Viertelvorzwölften (Ralph Hönicke), Reisevehikel und Gefängnis, Drachenschule und wackliges Sportgerät, das den Schauspielern zur Freude der jungen Zuschauer komischer Verrenkungen abverlangte. Das sparsame Design aus Schülerkritzeleien, dem geheimnisvollen Paketaufkleber, der Jim Knopf einst als Baby auf die Insel brachte, und einem prächtigen vorausdeutenden goldenen Drachen lässt umso mehr Raum für die Entfaltung der Schauspieler.
Frau Mahlzahn
und Prinzessin Li Si
Für Davina Chanel Fox als Jim Knopf ist es nach Abschluss der Schauspielschule die erste Hauptrolle, die sie übernimmt. Sie wirbelt wie ein Irrwisch über die verschiedenen Treppen und Ebenen, stürzt sich gemeinsam mit Lukas (Martin Bringmann) und seiner gutmütigen Lokomotive Emma in ein großes Abenteuer, das die Kinder mit voller Konzentration und Spannung miterleben – und feiert nach der Rückkehr ein freudiges Wiedersehen mit der geliebten Frau Waas (Britta Hübel).
Letztgenannte glänzt auch in der Rolle des furchteinflößenden Drachens Frau Mahlzahn, die Prinzessin Li Si (Maja Grahnert) und andere Kinder in ihrer Schule inmitten der Drachenstadt Kummerland gefangen hält. Ausgestattet mit einem gewaltigen, zahnbewehrten Drachenschwanz, keifend, röchelnd und humpelnd, steht sie für den Inbegriff des Bösen, das von den Kindern unter Führung von Jim Knopf besiegt wird.
Zwischen Aufbruch und Rückkehr des einstigen Findelkindes und seines souveränen väterlichen Freundes Lukas gab es jede Menge turbulente Momente, die vielfach mit begeistertem Szenenapplaus bedacht wurden: Der Kampf mit den kaiserlichen Bonzen des Landes Mandala, die Begegnung mit dem würdigen Kaiser Pung Ging (Andreas Krämer), mit dem sensiblen und traurigen Scheinriesen Herrn Tur Tur (Jonah Winkler) und dem tobenden Nepomuk (Jubril Sulaimon). Die Szene, in welcher der junge Halbdrache vor lauter Zorn auf seinen erloschenen Vulkan die Requisiten für Emmas Verkleidung durch die Luft fliegen lässt, steht bezeichnend für das feine Gespür, mit dem Regie und Ensemble auf den speziellen Humor der Kinder eingehen. Witzig und zugleich glaubhaft werden Pointierungen und Überzeichnungen eingesetzt, so das aufgeblasene Gehabe von Wachen und Bonzen (Jubril Sulaimon, Virginia Hartmann, Maja Grahnert), die blumenreiche Sprache des winzigen Kindeskindes Ping Pong (Puppenspieler: Tobias Gondolf), die Dialoge zwischen Frau Waas und dem weltfremden, etwas verklemmten Herrn Ärmel (Sebastian Zumpe) mit seinem Regenschirm-Hut.
Mit viel spielerischem Freiraum
Eng an der Buchvorlage orientiert, komprimiert und doch mit viel spielerischem Freiraum, meistern Regisseurin Kirsten Uttendorf und Dramaturgin Angelika Zwack alle Klippen im Handlungsablauf – seien es Meeresreisen, der Auftritt des Scheinriesen, die Fahrt durch den Mund des Todes, der Besuch in der Drachenstadt, das Einfangen der schwimmenden Insel oder die Verwandlung der abscheulichen Frau Mahlzahn in einen »Goldenen Drachen der Weisheit«.
Rund zwei Stunden lang, inklusive Pause, hielt Michael Endes berühmte Geschichte aus dem Jahr 1960 Groß und Klein in Atem, beklatschte man die emotionalen Momente, intonierte mehrfach den Hit »Eine Insel mit zwei Bergen« und ließ die Herzen der vielseitigen Emma zufliegen, die wahlweise als Lokomotive, Schiff oder Drachendame mit Leuchtaugen auftrat.
Tosender Applaus krönte die Premiere. Cliffhanger am Schluss: Das Geheimnis um Jim Knopfs Herkunft bleibt gewahrt und lässt auf eine Fortsetzung hoffen. Von Inge Schneider