Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter unserer Kirchengemeinde erzählte mir vor kurzem von einer höchst interessanten Begegnung, die mich angesichts der Nachrichten von Flüchtlingsströmen aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika sehr bewegt hat.
„Wissen Sie, da ist einer gewesen, der hatte offensichtlich kein Zuhause. Der ist immer anderen hinterher gelaufen. Manchmal ganz lustig gehüpft, aber was soll’s. Die Leute haben sich nur nach ihm umgeguckt, einige haben mitleidig geschaut, aber letztlich sind alle weitergegangen.
Ich bin dann zu ihm hin. Habe ihn freundlich angeschaut. Und, klar, da hat er sich auf mich eingeschossen. Ist jetzt mir immer hinterher gelaufen und gehüpft. Ich fand das nicht schlimm. An dem Tag bin ich durch den Garten zu uns zum Haus gegangen, und dann zur Terrassentür rein. Und er? Ist einfach mitgekommen. Ich habe mir gedacht: Wenn er sonst nirgends unterkommen kann, dann nehme ich ihn eben bei mir auf.
Klar, da muss man an einiges denken. Hat der Krankheiten? Muss ich mit dem erstmal zum Arzt? Was zu essen braucht er, logisch, aber was isst der eigentlich? Und dann: Die Nägel müssen geschnitten werden, dringend, sonst zerkratzt der uns hier noch alles. Aber davon abgesehen hatte ich mich schnell an den Gedanken gewöhnt, dass er auch länger bei uns bleiben kann. Mal sehen, vielleicht will er ja von selbst irgendwann wieder weg. Vielleicht auch nicht.
Damit er einen Schlafplatz hat, habe ich erstmal eine Pappe auf den Boden gelegt. Und dann nahm ich einen Wäschekorb. Den habe ich ihm einfach drüber gestülpt. Hat aber nichts gebracht. Da ist der wieder raus, klar. Aber es geht ja nicht, dass er sich einfach frei bei uns im Wohnzimmer bewegt. Wer weiß, was der noch anstellt. Oder, Gott bewahre, ob der uns irgendwo hinmacht?
Das mit dem Wäschekorb hatte ja nicht geklappt. Aber als ich einem Bekannten von meinem neuen Gast erzählte, brachte der mir gleich etwas Passendes vorbei: Einen Käfig. Und da hat er sich dann auch gleich ganz wohl gefühlt. Hat gezwitschert und war glücklich, der Kanarienvogel. Hoffentlich geht er nicht wieder zurück, habe ich mir dann gedacht, hoffentlich bleibt er bei uns. Trotz der Umstände. Wir schaffen das schon. Und: Eine Bereicherung ist er ja auch.“
Pfarrer Ingo Schütz,
Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel