Im Nachbargarten steht eine Kinderrutsche, bei Uwe und Urda Süßenberger ein rot gestrichenes Gartenhaus. Das unscheinbare Häuschen im Bergen-Enkheimer Garten beherbergt allerdings keine Gartengeräte unter seinem aufklappbaren Dach. Dafür aber ein selbst zusammengebautes, 1, 60 Meter langes Newton-Spiegelteleskop mit 40 Zentimetern Spiegeldurchmesser, 1600 Millimetern Brennweite, angeschlossener Kamera und Laptop. Denn bei dem schlichten Holzhaus handelt es sich um eine Sternwarte.
Bad Vilbel. Die Sternwarte ist in internationalen Astronomenkreisen als Basis-Station „A74“ bekannt, ihr Besitzer Uwe Süßenberger. Er gehört zu den rund zehn semiprofessionellen Astronomen, die es in Deutschland gibt. Der 53-Jährige hat zurzeit bereits 13 Kleinplaneten (Asteroiden) entdeckt. Den vorerst letzten im Dezember 2012.
Voraussetzung dafür, dass er das Dach seiner Sternwarte öffnet und sein Teleskop ausfährt, ist gutes Wetter. Das heißt bei einem Astronomen: „Keine Wolken am Himmel und kein Mond, denn der überscheint alles“. Bei Mondschein lassen sich jene winzigen Lichtpunkte nicht erkennen, bei denen es sich um unvorstellbar weit entfernte Asteroiden handelt. Uwe Süßenberger hält sie als Computerbildern, die die Kamera am Teleskop im Minutenrhythmus aufnimmt. Der Entdecker dokumentiert seinen Fund eine weitere Nacht lang, so wie es das „Minor Planet Center“ (MPC) im amerikanischen Cambridge verlangt. Es ist dem Smithsonian Astrophysical Observatory angegliedert. In dieser weltweiten MPC Basis-Station werden alle Kleinplaneten dokumentiert und beobachtet. Lückenlos verfolgt werden weltweit von Profis und Hobby-Astronomen gefährliche, erdnahe Asteroiden. „Wichtig ist es, deren Umlaufbahn mit möglichst vielen Informationen zu präzisieren und die Daten an das astrophysikalische Zentrum zu senden.“ Nebenbei entdeckt einer der Himmelsbeobachter dann schon einmal einen neuen Kleinplaneten.
„Das Teleskop läuft automatisch die ganze Nacht durch. Die Daten werte ich meist am folgenden Tag aus. Die Zeiten, in denen ich die ganze Nacht durchgearbeitet habe, sind lange vorbei“, sagt der vierfache Vater. Familie und Beruf fordern ihren Tribut. Dres. med. dent. Uwe und Urda Süßenberger haben seit 15 Jahren eine kieferorthopädische Gemeinschaftspraxis „Am Ritterkeller“.
„Ich fühle mich in Bad Vilbel wohl“, betont Süßenberger. Deshalb benannte er den dritten von ihm im März 2007 entdeckten Asteroiden „Bad Vilbel“. „Der Name ist eine anerkennende Geste“, betont der gebürtige Groß-Gerauer. Seit zehn Jahren wohnen Uwe und Urda Süßenberger mit ihren Kindern David (17), Sarah (15), Judith (13) und Ruben (8) in Bergen. „Wir leben gern in Bergen. Deshalb habe ich nach dem Frankfurter Stadtteil meinen am 13. August 2006 entdeckten Himmelskörper benannt.“
Endgültig „getauft“ werden dürfen die Asteroiden erst von ihren Entdeckern, wenn ihre Flugbahnen und Daten konkretisiert und von Astronomen überprüft wurden. Außerdem müssen die Neuentdeckungen am Firmament fünf Mal die Sonne passieren, was mehrere Jahre dauern kann. Bis das alles dokumentiert und überprüft ist, erhalten die Kleinplaneten eine aus Zahlen und Buchstaben kombinierte Bezeichnung, die an Autokennzeichen erinnert. Über die Herkunft und Entstehung der Kleinplaneten gibt es unterschiedliche Theorien. „Eine Theorie besagt, die Kleinplaneten sind Teile eines einstigen Planeten, der explodiert ist. Eine andere, dass die Brocken wie alle Planeten durch die Gravitationskräfte ihrer Umlaufbahn aus Sternenstaub entstanden sind, der immer stärker verklumpt. Dass es bei ,kleineren Brocken’ geblieben ist, könnte daran liegen, dass die Gravitationskräfte nicht stark genug sind.“ Für beide Theorien gebe es beide Belege.
Bereits als Schüler war der Kieferorthopäde von der unendlichen Weite des Weltraums fasziniert. Akribisch betrachtete er Andromedanebel, Milchstraße oder das Farbenspiel von Mars und Jupiter. „Das Wissen, dass da draußen noch etwas ist, was man hier bei uns nicht kennt“, ließ ihn nicht mehr los. „Ich habe damals bereits mit einem kleinen Teleskop durchs Dachfenster meines Jugendzimmers den Sternenhimmel beobachtet.“ Nach dem Studium entdeckte er durch eine Mitarbeiterin in seiner Praxis seine alte Leidenschaft wieder. Die Fernrohre wurden immer größer und leistungsfähiger. Familienausflüge führten zu Teleskop-Treffen in der Region und in angrenzende Bundesländern. „Mein erstes großes Teleskop im Garten war fest auf einem Betonfuß zementiert. Geschützt war es durch eine umgestülpte Regentonne. Es folgte das erste Gartenhaus mit aufklappbarem Dach. Das heutige ist größer.“ Mit bloßem Auge ist „Bad Vilbel“ am Sternenhimmel nicht zu sehen. Aber dafür gibt es ja Spiegelteleskope. Neben der Astronomie hat Uwe Süßenberger weitere Hobbys. Das sind Präzisionspendeluhren, von denen gleich mehrere im Wohnzimmer stehen, Fotografie, Lesen (wissenschaftliche Literatur und Belletristik), Musik (Blues und Klassik) sowie sein Engagement im Förderverein der Schule am Ried, auf die drei seiner Kinder gehen.