Spannende Lebenserfahrungen vermittelte die Bestatterin, Schreinerin und Trauerrednerin Anette Schmidt den Besuchern der „Starke Frauen“-Reihe der Bürgeraktive. Sie erzählte von ihrer Auswanderung nach Australien, den Herausforderungen im Männerberuf und als alleinerziehende Mutter – und dem Rückhalt in ihrer Familie.
Bad Vilbel. Der Stoff hätte für mehrere Abende gereicht, doch Eva Raboldt von der Bürgeraktive ließ ihren Gast mit klugen Stichworten auf den Punkt kommen. Vor 40 Zuhörern im Haus der Begegnung ließ sich die 1967 geborene Bad Vilbelerin tief in ihre Biografie blicken. Die rollte Raboldt von hinten auf – mit Schmidts jüngster Aktivität. Seit 2010 ist die gelernte Schreinerin und Bestatterin auch Trauerrednerin. „Wie schaffen Sie es, nicht zu weinen?“, fragte sie zum Umgang mit dem Tabu-Thema Tod. „Ich muss Grenzen für mich ziehen“, entgegnete Schmidt: „Ich schöpfe Kraft aus dem Abschied, wenn er gelungen ist, wenn die Menschen sagen, ,Sie haben mich gut begleitet’.“
Träume statt Karriere
Schmidt ist Spross einer alteingesessenen Schreinerfamilie. Johann Schmidt begann 1918 mit dem Leiterbau in der Ritterstraße. Was ein „Schliffer“ sei, fragte Raboldt. Das sei der Spitzname ihres Opas, bedeute „Holzsplitter“, erzählte Schmidt. Eine Schreinerei, das sei nichts für Mädchen, habe ihr Vater gesagt, dann aber eingelenkt: „Er war ja selber Schreiner“. Mit 20 war Schmidt schon Gesellin, machte die Prüfung als Innungsbeste.
Doch Karriere allein war nicht ihre Sache. Neben dem Ehrgeiz hatte sie auch Träume. Nach ihrer Ausbildung zog sie allein sechs Wochen nach Australien. Ein Dreivierteljahr nach ihrer Rückkehr wanderte sie für fünf Jahre auf den Fünften Kontinent aus. Sie arbeitete als Schreinerin, später als Schmuckhändlerin.
Doch irgendwann zog es sie nach Bad Vilbel zurück, zu Familie und Vilbeler Markt. „Mir haben Freundschaften, diese tiefen Wurzeln, gefehlt“, erinnert sie sich. Was sie geprägt habe, fragte Raboldt. „Mein Elternhaus, meine Eltern standen immer hinter mir“, auch als sie sich nach Australien verabschiedet habe – „die Tür stand stets offen“.
Auch später, als sie zwei Kinder hatte und die Trennung von ihrem Mann kam. „Ich musste wieder neue Wege finden“, erzählte Schmidt. 2010 hat sie sich zur Trauerrednerin weiterbilden lassen. Sie sei von Ansprachen enttäuscht gewesen, wollte sehen, ob sie es auch könne. Da sie evangelisch getauft sei, dürfe sie Gebete und Segen sprechen. Wichtig sei, „dass man die Stimmung in der Trauerfamilie einfängt“, berichtete sie, „mit Lyrik und Gedichten“.
Als Bestatterin muss Schmidt rund um die Uhr erreichbar sein. Manchmal rufe die Polizei an, dann müsse der Verstorbene binnen einer Stunde überführt werden. Bei häuslichen Todesfällen lasse sie den Angehörigen einen Tag Zeit zum Abschied nehmen. Das Alltägliche des Sterbens mache ihr aber auch die Kostbarkeit des Lebens bewusst, das sei „ein Geschenk“. Sie hat eine besondere Form der Entspannung gefunden: die Friedhofsfahrten. Fahre sie die alten Leute mit dem städtischen Sozialbus, „komme ich zur Ruhe“. (dd)