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Antisemitismus schleicht sich ein

Wann lässt sich von Antisemitismus unter Schülern sprechen? Damit befasst sich eine Studie der Frankfurter University of Applied Sciences. Auf Einladung von SPD und Jüdischer Gemeinde wurde sie kürzlich in Bad Vilbel im Haus der Begegnung vorgestellt.

Bad Vilbel. Unter der Schulbank ist ein Hakenkreuz gemalt, das Wort »Du Jude« wird wie selbstverständlich als Schimpfwort gebraucht. Von solchen Vorfällen hört man immer wieder an Schulen. »Antisemitismus beginnt nicht etwa erst bei verbaler oder physischer Gewalt, sondern schon bei der Wahrnehmung«, sagt Ricarda Theiss, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Frankfurter University of Applied Sciences.

GROßER NACHHOLBEDARF
Dort entstand eine Studie zum Antisemitismus an Schulen, den Theiss im Haus der Begegnung auf Einladung der SPD und der Jüdischen Gemeinde jetzt vorstellte. »Wir haben Lehrer, Schüler und Sozialarbeiter befragt, es gibt einen großen Nachholbedarf«, weiß Theiss. Oft beginnt der Antisemitismus an den Schulen scheinbar harmlos. »Das Thema kommt auf den Israelkonflikt, und plötzlich soll das jüdische Kind ihn erklären«, schildert sie eine Beispielsituation. »Oft sind die Kinder damit total überfordert. Den Lehrern geht es oft ebenso, und sie lassen die Kinder damit alleine. Dabei haben Juden und der Staat Israel erstmal gar nichts miteinander zu tun.«
Gerade unter dem Deckmantel der Israelkritik schleiche sich der Antisemitismus zurück an Schulen. »Die Judenfeindlichkeit passt sich der Umgebung an«, erklärt Theiss. »Sie begann mit dem Antijudaismus des Mittelalters und wurde verstärkt über den Rassismus des Nationalsozialismus und hält sich bis heute. Entgegen dem Glauben mancher war er nie weg, er hat sich nur versteckt. Doch in letzter Zeit ist er wieder salonfähiger geworden.«

Nicht jede Kritik am Staat Israel sei Antisemitismus, doch oft dient sie als Mittel zum Zweck. »Es wird versucht, aufzurechnen, teilweise geht das bis zur Gleichsetzung der Shoah mit der heutigen Situation in Israel«, weiß Theiss. Die davon betroffenen Schüler wissen nicht mit der Situation umzugehen, verstecken oft ihre jüdische Identität. »Als Jude muss man nicht alles über den Nahostkonflikt wissen!«

KIPPA TRAGEN
Doch auch bei den Lehrern gibt es Probleme. »Ein Lehrer kommt etwa aus dem Sabbatjahr zurück«, schildert Theiss einen Vorfall, der für die Studie ein gutes Beispiel ist. »Nun möchte er Kippa tragen. Doch der Schulleiter meint, dies könnte als Provokation aufgefasst werden. Einerseits wird vom christlich-jüdischen Erbe gesprochen, andererseits wird eine jüdische Präsenz immer öfter als Provokation gewertet.«

AUS DER MITTE
Noch weiter verbreitet an den Schulen sei die Nutzung von Ausdrücken wie »Du Jude« oder »Judenaktion« als Schimpfwörter. »Während meiner Arbeit im Museum Judengasse habe ich das bei Besuchergruppen selbst miterlebt«, sagt Theiss. »Die Lehrer nehmen das oft nicht ernst, oft hört man so was wie: Die wissen es ja nicht, sie meinen es nicht ernst.« Doch für Juden macht es das nicht weniger verletzend. Dieser Alltagsrassissmus sei eines der größten Probleme. »Anders als manche glauben, ist Antisemitismus kein Problem, das von den Extremen kommt, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, und ist damit auch an den Schulen, verankert«, erklärt die Forscherin.
Und bis das Thema Holocaust auf dem Lehrplan steht, haben manche Schüler dieses Vokabular schon verinnerlicht. Durch den starken Antisemitismus auf Social-Media-Plattformen werde dies noch verstärkt. Eine allgemeingültige Lösung für diese Probleme gebe es nicht.

»Die Opfer sind unterschiedlich, ebenso die Ansätze«, meint Theiss. »Von einem Schulwechsel, über das Hilfe suchen bei Freunden oder das Schreiben eines Artikels für die Schülerzeitung, um die Missstände anzuprangern, da gebe es einige Möglichkeiten.«
Bei den Tätern sieht das ähnlich aus. Theiss: »Ist ein Lehrer tätig geworden, müssen daraus Konsequenzen folgen. Bei den Schülern ist das schwieriger. Ein einfaches Vor-die- Tür-Stellen bringt wenig bis gar nichts. Wieso sollten die Täter etwas lernen, wenn sie nicht wissen, was sie falsch gemacht haben? Hier bietet sich an, Experten in die Klasse zu holen und mit ihnen darüber zu reden.«